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!! ACHTUNG!! DIESE SEITE WIRD NICHT MEHR AKTUALISIERT. Bitte wenden Sie sich mit Ihren Anliegen nach dem Ende des Mandats von Dr. Kirsten Tackmann am 26.10.2021 an die aktuelle Linksfraktion im Bundestag. Für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und konstruktive Kritik der vergangenen 16 Jahre möchten wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken.

Rede zu Beschlussempfehlungen und Berichten zu Anträgen der Fraktion der FDP "Eckpunkte zum Einsatz von Erntehelfern in der Landwirtschaft grundlegend überarbeiten" (DS 16/5170) und Bündnis 90/Die Grünen "Qualifizierung statt Quoten" (DS 33/76), 2. Lesung

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Das Problem Saisonarbeit ist Teil eines sehr zentralen Themas: Wir brauchen dringend Arbeitsplätze in den Dörfern, und zwar existenzsichernde. Wenn wir alles so weiterlaufen lassen, dann stehen wir zunächst in Ostdeutschland, aber später auch woanders vor der ernsthaften Frage: Wollen wir uns damit abfinden, dass Dörfer aufgegeben werden? Die reale Abwanderung von jungen Frauen war ja gerade Thema. Meine These ist: Sie wandern nicht nur der Arbeit hinterher. Sie gehen auch, weil der Abbau der sozialen und kulturellen Infrastruktur ihre Teilhabe an der Gesellschaft nicht mehr ermöglicht. Zu dieser Debatte gehört ein weiterer Trend: die steigende Zahl nur noch saisonal verfügbarer Arbeitsplätze in den Dörfern. Wollen wir die Dörfer erhalten, muss die Arbeit so organisiert werden, dass sie zur Existenzsicherung in der Region beitragen kann. (Beifall bei der LINKEN) Das gilt auch und besonders für die Arbeitsplätze in der Ernte von Sonderkulturen. Für uns Linke ist die Grundforderung klar: Von Arbeit muss man leben können. (Beifall bei der LINKEN) Das ist leider nicht selbstverständlich. Im Mai 2007 berichtete die Bundesagentur für Arbeit, dass mindestens 500 000 Menschen in diesem Lande trotz Arbeit ALG II beziehen. Wohin es führt, wenn man die Verhandlungen über den Preis der Arbeitskraft dem Markt überlässt, zeigt der Fall aus Donauwörth, über den gerade meine Kollegin Drobinski-Weiß berichtet hat. 118 Rumänen wurden für 1 Euro pro Stunde unter unwürdigen Bedingungen zur Ernte eingesetzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verdachts des Menschenhandels zur Ausbeutung von Arbeitskräften. Sicher, das ist ein Extrembeispiel. Aber auch 3,80 oder 6 Euro sind angesichts der Schwere dieser Arbeit und der Kurzzeitigkeit des Verdienstes kein fairer und schon gar kein existenzsichernder Lohn. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): Woher wissen Sie das denn? Die sind doch in dem Bewusstsein gekommen, dass sie das bekommen!) Die Hauptfaktoren für das Fehlen der Saisonarbeitskräfte sind aus unserer Sicht erstens die geringen Löhne und zweitens die schweren Arbeitsbedingungen. Daher bleibt für die Linke die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, und zwar in allen Bereichen der Landwirtschaft. (Beifall bei der LINKEN) Gestern konnten wir erfahren, dass bei den Milchbauern sogar bei Familienbetrieben der nicht faire Milchpreis zur Selbstausbeutung führt. (Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Über den Kündigungsschutz müssen Sie auch noch reden!) Die Linke fordert außerdem Überlegungen zur Verstetigung von saisonaler Arbeit. Auch Saisonarbeitskräfte brauchen schließlich eine soziale Absicherung. Wir haben dazu einen Antrag vorgelegt, der die sehr guten Erfahrungen mit Arbeitgeberzusammenschlüssen in Frankreich aufgreift. Darüber sollten wir nach der Sommerpause dringend reden. Zum Antrag der FDP. Inzwischen ist doch völlig klar, dass nicht die 10 Prozent einheimischen Arbeitskräfte, die für die Saisonarbeit eingestellt werden müssen, schuld sind, wenn die Ernte nicht eingeholt werden kann. Viele Betriebe in Brandenburg, die mit 100 Prozent Einheimischen die Ernte in die Scheuer fahren, zeigen doch, dass das geht. Das Problem ist: Die zugelassenen 90 Prozent Erntehelfer aus der EU kommen nur noch begrenzt, weil die Löhne zu niedrig sind. Jetzt die Lohndumpingkarawane weiterziehen zu lassen, ist aus unserer Sicht völlig absurd. Wir Linken fragen außerdem: Mit welchem Recht sollten für ukrainische oder rumänische Saisonarbeitkräfte andere Bedingungen gelten als für unsere eigenen? (Beifall bei der LINKEN) Die Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt hat gerade ein Zertifizierungssystem für faire Saisonarbeit erarbeitet. Das halten wir für den richtigen Weg. Selbst der hessische Bauernverband gesteht ein, dass es wohl mittelfristig darauf hinauslaufen wird, dass die Löhne steigen müssen. Die Linke teilt die Forderungen aus dem Antrag der Grünen: Wir brauchen ein Anreizsystem, eine faire Entlohnung, faire Unterbringungs- und Arbeitsbedingungen, eine Verbesserung der Vermittlung von Saisonarbeitskräften und eine koordinierte, bedarfsgerechte Aus- und Weiterbildung. Die Linke spricht sich klar für eine branchenübergreifende Vernetzung saisonaler Arbeitsmöglichkeiten in den Dörfern aus, vom Forstbetrieb über Gartenbau und Landwirtschaft bis zum Hotel oder zu Kfz-Werkstätten. Dazu können die vorgeschlagenen "grünen Agenturen" durchaus beitragen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns nach der Sommerpause dringend über Arbeitgeberzusammenschlüsse reden! Das ist sicherlich der bessere Weg. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN)