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Im Vorfeld zur 50. Jahrestagung "Möglichkeiten und Grenzen der wissenschaftlichen Politikanalyse" der Gesellschaft für Wirtschaft- und Sozialwissenschaft des Landbaus, die vom 29. September bis 1. Oktober in Braunschweig stattfindet nimmt Dr. Tackmann Stellung zu den Erwartung der Politik an die Agraökonomie

©Rainer Sturm / PIXELIO / www.pixelio.de

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Die Gesellschaft für Wirtschaft- und Sozialwissenschaft des Landbaus wollte von Frau Dr. Tackmann wissen:

1) Welchen Stellenwert hat die Arbeit der deutschen Agrarökonomie aus Ihrer Sicht für die politische Entscheidungsfindung?

Die Bedeutung der Ökonomie bzw. der ökonomischen Forschung ist nach wie vor hoch. Das spiegelt sich auch in politischen Entscheidungen wider. Der Grund ist, dass ökonomisch zu handeln und ökonomisch zu entscheiden als rational und oft argumentativ als das Primat der Politik gilt. Auch in der Landwirtschaft dominiert ein rein wirtschaftlicher Blickwinkel, allerdings mit dem zusätzlichen Defizit, dass die Besonderheiten der agrarischen Produktion für neoliberale Wirtschaftsmodelle aus Industrie und Dienstleistung hier noch weniger geeignet sind. Die Verbindung der nicht-agrarischen und der agrarischen Märkte mit WTO-Handelsregeln, die soziale und ökologische Standards als Wettbewerbsverzerrung verbieten und spezifische Anforderungen der Landwirtschaft nicht berücksichtigen, führte zur Unterbewertung der Agrarökonomie als eigenständige Wissenschaftsdisziplin. Das ist ein Grund dafür, dass in der Vergangenheit die Prognose der AgrarökonomInnen im Blick auf politische Entscheidungen oft zu großen Fehleinschätzungen geführt hat. Insbesondere die Erwartungen an die Leistungsfähigkeit der durch die neoliberale Theorie geprägten Agrarpolitik der vergangenen Jahrzehnte haben schwerwiegende Folgen. Das auch in Deutschland und Europa geforderte Leitbild eines deregulierten Weltmarktes, auf welchem Bäuerinnen und Bauern bestehen müssen, funktioniert nicht wie von vielen erwartet. Gerade die Globalisierung mit immer unkalkulierbarer weil spekulativer werdenden Agrarrohstoff- und Bodenmärkten führt zu höher und schnelleren Preisschwankungen. Je nach Ausschlag kann dabei unterschiedlicher Schaden angerichtet werden. Neoliberal (durch Agrarökonomen) vorbestimmte Politikvorgaben von Weltbank und IWF haben ihren Beitrag dazu geleistet, dass heute aus vielen ehemaligen Überschussländern der so genannten 3. Welt (z.B. Mexiko & Philippinen) von Weltmarktbedingungen abhängige Importländer geworden sind. Wenn diese Länder steigende Importpreise für lebensnotwendige Waren nicht mehr bezahlen können steigt mit der Zahl der Hungernden auch die Gefahr politischer Krisen. In der Prognose wirtschaftlicher Folgewirkungen politischer Entscheidungen liegen die Ökonomie und auch die Agrarökonomie viel zu oft daneben. Die Dynamik neuer Prozesse wird unterschätzt (Beispiele: Ausbau der Bioenergiegewinnung, Auswirkungen der Auflösung der europäischen Intervention von Agrarrohstoffen). Trotzdem oder gerade deshalb muss eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Agrarökonomie ein unverzichtbarer Bestandteil der politischen Beratung werden. Dieses gilt insbesondere für die Evaluierung agrarpolitischer Entscheidungen und Politikfolgeabschätzungen. Ohne agrarökonomische Auswertungen vergangener Agrarpolitik würde eine wichtige Entscheidungsgrundlage für die Zukunftsgestaltung fehlen.

2) Was erwarten Sie von der künftigen Arbeit der deutschen Agrarökonomen?

Das Aufgabenspektrum für die Agrarpolitik hat sich mit den drängender werdenden Fragen im Zusammenhang mit Ernährungssicherung, Klimawandel, Agrarmarktentwicklung usw. erweitert und verschärft. Klar ist, dass die landwirtschaftlichen Betriebe vor mehr und zunehmend komplexeren Fragestellungen stehen und damit auch die Anforderungen an die geeigneten politischen Rahmenbedingungen steigen. Lösungen müssen daher stärker interdisziplinär orientiert sein und sich auch an volkswirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Interessen orientieren. Besonders augenscheinlich wird das in aktuellen Arbeiten: Beispielsweise der Weltagrarbericht oder der im Herbst erscheinende Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung des Bundestags, in dem es um die Ausrichtung zukünftiger Agrarforschung im Blick auf die Ernährungssicherung geht. Daraus leitet sich auch für mich die künftige Arbeit der Agrarökonomie ab. Sie muss sich stärker als bisher in die interdisziplinär angelegten Fragestellungen einbringen und andere Forschungs- und Wissenschaftsbereiche stärker einbeziehen. Für viele agrarpolitische Fragestellungen reicht heute ein rein ökonomisch orientiertes Herangehen nicht mehr aus. Über Erfolg- oder Misserfolg agrarpolitischer Entscheidungen entscheiden oft andere Faktoren, die ökonomisch nicht unbedingt messbar sind (z. B. vorhandene oder nicht vorhandene Infrastruktur, soziologische Rahmenbedingungen, nicht tarifäre Handelshemmnisse, ökologische Auswirkungen usw.). Eine über ihren Tellerrand hinausschauende Agrarökonomie wird daher auch in Zukunft wichtige Beiträge zur Politikberatung liefern.