Liebe Jugendweiheteilnehmerinnen und -teilnehmer, liebe Mütter und Väter, Großmütter und Großväter, Schwestern und Brüder, liebe Familienangehörige, Freundinnen und Freunde,
Mein Name ist Kirsten Tackmann. Ich wohne seit 1987 in Tornow, einem 80-Seelen-Dorf der Nähe von Kyritz. Ich bin studierte Tierärztin und habe bis 2005 in einem Tierseuchenforschungsinstitut in Wusterhausen gearbeitet.
Seit Oktober 2005 bin ich Mitglied im Deutschen Bundestag und arbeite dort im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – oder kurz für Essen und Trinken.
Es ist mir eine große Ehre, heute zu dieser Jugendweihefeier in Wittstock sprechen zu dürfen. Denn die nächste Generation ist mir sehr wichtig. Ich habe oft Schülergruppen im Bundestag zu Besuch oder bin aus verschiedenen Anlässen in Schulen. Diese Diskussionen sind für mich immer besonders interessant. Im Gegensatz zur langläufigen Meinung erlebe ich viele junge Leute, die sehr engagiert sind und sich viele Gedanken machen über die Gesellschaft um sie herum. In Kyritz gibt es unterdessen ein Jugendparlament, mit dem sich junge Leute in die Stadtpolitik einmischen. Das finde ich sehr ermutigend!
Aber heute, liebe Mädchen und Jungen, ist erst einmal ein toller Tag für euch. Wahrscheinlich habt ihr noch nie so im Mittelpunkt gestanden. Heute seid ihr der ganze Stolz eurer Familien! Heute sind wahrscheinlich auch eure Lehrerinnen und Lehrer stolz auf euch! Was ja vielleicht nicht immer der Fall ist, oder?
Liebe Mädchen und Jungen: Genießt dieses Hochgefühl am heutigen Tag! Denn ihr ahnt sicher, was ich euch an dieser Stelle leider sagen muss: es wird nicht so bleiben! Von meinen eigenen beiden Kindern, die 17 und 20 Jahr alt sind, weiß ich: eine so große Aufmerksamkeit der Erwachsenen kann ja auch manchmal ein bisschen nerven. Ich selbst hatte 1974 Jugendweihe. Ich erinnere mich vor allem an die unendlich lange Suche nach der geeigneten Kleidung. Die Vorstellung meiner Eltern und meine eigenen waren lange Zeit so unvereinbar, dass das familiäre Freudenfest immer mal wieder auf der Kippe stand. Heute sieht man das glaube ich deutlich entspannter.
Vielleicht fühlt sich die eine oder der andere noch etwas fremd in der Kleidung der Erwachsenen. Jedenfalls – wenn ich euch so ansehe kann ich nur versichern: ihr seht alle richtig toll aus! Aber lasst mich euch ein paar Dinge mit auf den Weg in den neuen Lebensabschnitt geben, der heute für euch beginnt.
Zu meiner 1. Bitte: Nehmt euch in all dem Trubel mal einen Moment Zeit zum Nachzudenken. Nämlich darüber, wie viel eure Großeltern und Eltern zu eurem bisherigen Leben beigetragen haben. Ihr werdet merken, dass es mehr war, als ihr vielleicht oft denkt. Und deshalb – liebe Mädchen und Jungen: bedankt euch nicht nur für die Geschenke, die ihr heute hoffentlich reichlich bekommt. Bedankt euch bitte auch für das, was euch in den vergangenen Jahren tagtäglich gegeben wurde: Liebe, Zuneigung und Unterstützung. Vielleicht habt ihr auch noch an ein kleines Dankeschön für eure Kindergärtnerinnen. Und vielleicht auch ein paar nette Worte für eure Lehrerinnen und Lehrer. Spätestens in einigen Jahren werdet ihr wissen, dass sie das verdient haben!
Für Sie, liebe Großeltern und Eltern, ist heute auch ein großer Tag. Auch für Sie geht ein Lebensabschnitt zu Ende. Sie werden beginnen müssen, die Kinder loszulassen! Spätestens heute fangen sie an, ihre eigenen Wege zu gehen. Sie werden Stück für Stück auf ihre eigenen Vorstellungen bestehen. Wir Eltern sollten das mit Neugieriger und Gelassenheit verfolgen. Jede Generation muss ihre eigenen Erfahrungen machen. Muss aus den eigenen Fehlern lernen. Was die jungen Leute am meisten brauchen ist unser Signal, dass wir ihnen den eigenen Weg zutrauen!
Und da bin ich bei meiner 2. Bitte an euch, liebe Mädchen und Jungen: Legt die Erfahrungen eurer Großeltern und Eltern nicht achtlos beiseite. Sie haben euch mehr mit auf den Weg zu geben, als ihr vielleicht denkt! Eure Großeltern haben nach dem 2. Weltkrieg dieses Land wieder aufgebaut. Ich weiß, in den Familien wird darüber meist nicht viel gesprochen. Für uns finden Kriege nur woanders statt. In Afghanistan dauert der Krieg unterdessen länger, als der 2. Weltkrieg. Die aktuellen Kriege und die Erfahrungen eurer Großeltern sollte uns gemeinsam daran erinnern: das friedliche Aufwachsen von Kindern ist keine Selbstverständlichkeit. Die Generation eurer Großeltern hat 1945 geschworen: nie wieder Krieg von deutschem Boden. Dieses Vermächtnis gehört zu eurem Erbe, liebe Mädchen und Jungen. Vergesst das niemals! Die Generation eurer Eltern hat dazu beigetragen, dass Europa die historisch längste Friedensphase erlebt. Ihr werdet hoffentlich dafür sorgen, dass es so bleibt.
Meine 3. Bitte bezieht sich auf euren Besuch in der Gedenkstätte Belower Wald in Vorbereitung auf die Jugendweihe. Ihr habt dort gesehen, was Faschismus bedeutet hat. Unsere gemeinsame Lehre aus diesem Teil der deutschen Geschichte kann heute nur eine sein: Niemand hat das Recht, andere Menschen zu diskriminieren! Mein Appell an euch: schaut niemals weg, sondern greift ein. Zivilcourage soll unbedingt zu eurem Erwachsenenleben dazugehören!
Meine 4. Bitte: Vertretet selbstbewusst und engagiert eure eigenen Interessen. Findet euch nicht ab mit Dingen, die ihr für falsch haltet. Aber bedenkt bitte auch: ihr seid nicht allein auf dieser Welt. Versucht, nicht auf Kosten anderer zu leben. Lasst niemanden zurück, der es vielleicht etwas schwerer hat, als ihr selbst. Wir können es uns nicht leisten, auch nur ein Mädchen oder einen Jungen zurück zu lassen. Und denkt immer daran: Es kann schnell sein, dass ihr selbst auf Unterstützung, Hilfe und Solidarität angewiesen seid.
Meine Bitte Nr. 5 Nehmt Armut und Ausgrenzung gerade in unserer so reichen Welt niemals hin. Das gilt für die zunehmende Armut in unserem eigenen Land. Aber auch für die Armut in der ganzen Welt. Wir haben am Mittwoch im Bundestag in einer so genannten Aktuellen Stunde heftig über die aktuelle Welternährungssituation diskutiert. Die Probleme können uns allen nicht gleichgültig sein. Es gibt viele Ursachen für stark gestiegene Lebensmittelpreise und Hunger. Aber die Situation hat auch damit zu tun, das wir hier in Europa so leben, dass wir unsere eigenen natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen gefährden. Das Stichwort Klimawandel kennt ihr sicher alle. Die nächsten Kriege werden wahrscheinlich nicht mehr um Öl geführt, sondern um Wasser zum Trinken und zur Nahrungsmittelproduktion.
Deshalb meine 6. Bitte: Eure Generation muss klüger leben, als die Generationen vor euch. Ihr werdet zum Beispiel mit Energie vernünftiger umgehen müssen. Sie kommt nicht einfach so aus der Steckdose, sondern muss produziert werden. Auch Milch, Brot und Obst wachsen nicht im Supermarkt. Vielleicht geht die eine oder der andere von euch in die Landwirtschaft und trägt mit dazu bei, eine der wichtigsten Aufgaben der Welt zu erfüllen: die Menschen zu ernähren!
Ich glaube, viele der Dinge die für uns im Moment noch selbstverständlich scheinen, sind in Zukunft vielleicht nicht mehr ganz so selbstverständlich. Ihr werdet für viele Fragen neue Antworten finden müssen. Einige Fragen müsst ihr vielleicht auch völlig neu stellen. Es ist keine perfekte Welt, die euch erwartet. Im Gegenteil. Aber ihr habt es in der Hand, sie zu verbessern. Wie sangen die Ärzte" "Du bist nicht selber Schuld, dass die Welt ist wie sie ist. Du wärst nur selber Schuld, wenn sie so bleibt."
Aber, liebe Mädchen und Jungen, natürlich besteht die Welt nicht nur aus Problemen! Vor euch steht ein Abendteuer, das man Leben nennt. Es wird ein Mix sein aus Liebe und Liebeskummer, Freud und Leid, Licht und Schatten. Ich wünsche euch, dass es spannend wird und ihr es so gestalten könnt, dass ihr möglichst viele eurer Talente und Fähigkeiten entfalten könnt.
Es mögen euch alle Türen weit offen stehen. Und wenn mal eine zu geht sollt ihr darauf vertrauen können, dass eine andere wieder auf geht. Vor euch steht nun ein schöner Tag und genügend Geschenke gibt es hoffentlich auch. Von mir bekommt ihr eine Ausgabe des Grundgesetzes – mit einem Kommentar von mir, der euch vielleicht zum Nachdenken über unser Land anregt. Dank sei an alle gerichtet, die die heutige Feierstunde für euch vorbereitet und organisiert haben!
Aber jetzt wünsche ich euch einen tollen Tag im Kreis eurer Familie und eurer Freunde. Eine letzte Bitte: seid ein bisschen vorsichtig mit dem Alkohol – der morgige Tag wird sonst schrecklich, glaubt mir! Ich wünsche euch alles Glück dieser Welt und ein erfülltes Leben! Macht das Beste draus!