120118_antibiotikamissbrauch
Rede 18.1.2012
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich versuche es jetzt mit ein bisschen Sachlichkeit.
Auf Kollege Lauterbach zurückkommend:
(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wenn Sie auf Lauterbach zurückkommen, dann wird das nichts mit Sachlichkeit!)
Ich glaube, dass wir eben nicht nur über Antibiotika in der Nutztierhaltung, sondern auch in der Humanmedizin und in der Haus- und Kleintierhaltung reden müssen. Auch hier gibt es Missstände. Ich finde es schon ein bisschen fahrlässig, das nur auf die Nutztierhaltung zu reduzieren.
(Beifall bei der LINKEN und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Unser Ziel ist doch klar: Wir wollen den Missbrauch von Antibiotika verhindern. Die Frage ist nur: Was ist Missbrauch, und wo wird tatsächlich Missbrauch betrieben? In den seriösen Studien aus NRW und Niedersachsen wird durchaus darauf hingewiesen, dass es einen missbräuchlichen und unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika gibt. Man kann über Details dieser Studien streiten, das ist keine Frage; aber auf ein ernsthaftes Problem weisen sie auf jeden Fall hin. Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass in NRW bei vier von fünf Mastdurchgängen mindestens einmal Antibiotika an Hähnchen verabreicht wurde, manchmal sogar bis zu acht Wirkstoffe bei einer Lebensdauer von – daran möchte ich erinnern – 35 Tagen, und dass in Niedersachsen 83 Prozent der Masthühner, 92 Prozent der Puten, 77 Prozent der Schweine und sogar 80 bis 100 Prozent der Rinder mit Antibiotika behandelt wurden. Aber gerade weil wir nicht genau wissen, wie verbreitet das Problem ist, brauchen wir eine verlässliche Dokumentation. Das ist kein Herausreden, sondern wir müssen die Lage analysieren und bundesweit erheben, in welchen Beständen Probleme existieren und in welchen nicht.
(Beifall bei der LINKEN)
Eigentlich müssen wir noch viel früher ansetzen. Wir brauchen Haltungsbedingungen, die Tiere gesund halten und nicht verstärkt zu einer Erkrankung beitragen;
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))
denn eines ist doch klar: Wo regelmäßig Antibiotika eingesetzt werden müssen, sind die Haltungsbedingungen nicht in Ordnung. Das ist nicht hinzunehmen, und zwar aus zwei Gründen:
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Karl Lauterbach (SPD))
Erstens. Solche Haltungsbedingungen sind gesellschaftlich nicht akzeptiert. Man kann über die Demo „Wir haben es satt!“ denken, wie man will; aber man muss sich dieser Debatte stellen, und die Politik muss sich den erhobenen Forderungen stellen.
Zweitens. Der Antibiotikamissbrauch birgt eben auch das Risiko, dass sich Resistenzen entwickeln können, zum Beispiel durch zu kurze Behandlungsintervalle. Diese Unempfindlichkeiten von Bakterien, die hier entstehen können, sind ein Risiko, weil sie wie ein Bumerang wirken und dann andere Erkrankungen bei Mensch und Tier nicht mehr behandelt werden können. Aus meiner Überzeugung müssen wir deswegen wirklich handeln. Die Bundesregierung hat erste Vorschläge auf den Tisch gelegt. Sie reichen uns aber nicht aus. Die Linksfraktion hat gestern einen eigenen Antrag zur deutlichen Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes beschlossen, den wir noch in dieser Woche einbringen werden.
(Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Guter Antrag!)
Hier geht es wirklich um Sachlichkeit. Die Forderung aus Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, ein totales Verbot von Antibiotika in der Tierhaltung auszusprechen, halte ich für völlig unseriös.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Aus meiner Sicht muss es die Option geben, einzelne Tiere mit Antibiotika zu behandeln. Das ist tierschutzgerecht.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Was müssen wir nun wirklich tun?
Erstens. Am Wichtigsten ist mir, Krankheiten zu verhindern, statt sie zu behandeln. Häufige Antibiotikaanwendungen weisen fast immer auf Mängel bei den Haltungsbedingungen hin. Wir brauchen präventive Lösungen. Das bedeutet, Haltungsbedingungen auf den Prüfstand zu stellen, und zwar ernsthaft. Wir brauchen tiergerechte Ställe. Wir brauchen bessere Stallhygiene. Wir brauchen besseres Stallklima. Eine ganz wichtige Voraussetzung ist: Wir brauchen gut ausgebildetes und auch gut bezahltes Betreuungspersonal.
(Beifall bei der LINKEN)
Zweitens. Antibiotikaanwendungen müssen klar und deutlich nachvollziehbar sein. Das hat der Bundesrat bereits 2007 gefordert. Der Entwurf der Bundesregierung zur Änderung des Arzneimittelgesetzes ist ein wichtiger Schritt, aber er ist nur ein ganz kleiner und zögerlicher Schritt. Aus unserer Sicht müssen Antibiotikaverwendungen bundesweit einheitlich und bis in den einzelnen Bestand nachverfolgbar und auch kontrollierbar sein.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Heinz Paula (SPD))
Erst dann wissen wir tatsächlich, an welchen Stellen wir Probleme haben und wo eingegriffen werden muss.
Drittens. Wir brauchen ein strategisches Herangehen. In Dänemark und den Niederlanden gibt es durchaus interessante Ansätze. Beispielsweise brauchen wir dringend Schulungen zum guten Bestandsmanagement und sachgemäßen Arzneimitteleinsatz. Ziel muss eine bessere Bestandsgesundheit sein. Dafür brauchen wir ein gutes Bestandsmanagement, eine integrierte tierärztliche Betreuung und betriebliche Minimierungsprogramme. Wenn wir feststellen, dass das auf freiwilliger Basis nicht funktioniert, muss das gesetzlich geregelt werden, und zwar konsequent.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Viertens. Antibiotika, die für die Behandlung von Menschen notwendig sind, sollten wir nicht im Stall einsetzen. Ich bin dafür, eine Trennung ernsthaft zu prüfen; denn die potenzielle Gefahr der Übertragung von Resistenzen aus dem Stall in die Krankenhäuser ist gegeben, auch wenn es viele Gründe für das Auftreten von Krankenhausresistenzen gibt.
Ich finde, hier muss man tatsächlich trennen.
Zwei Bemerkungen zum Schluss. Erstens. Ich finde es falsch, im Kontext mit dem Antibiotikaproblem eine Auseinandersetzung mit der sogenannten Massentierhaltung zu führen. Als Linke haben wir die Position: Man muss über Qualität in der Tierhaltung reden, nicht allein über die Quantität. Dabei ist völlig klar, dass es nach oben Grenzen gibt. Die Haltung von 69 000 Schweinen an einem Standort zum Beispiel ist für mich unvernünftig. Da muss man gesetzliche Regelungen finden.
(Beifall bei der LINKEN)
Zweitens. Die Problemlösung darf nicht allein von der Agrarwirtschaft verlangt werden. Ich finde, man muss ehrlichkeitshalber zur Kenntnis nehmen: Die Agrarwirtschaft ist einem gnadenlosen Markt ausgesetzt. Die Gesellschaft erwartet billige Nahrungsmittel. Das ist aufgrund der Lohnentwicklung und der allgemeinen Verarmung durchaus ein wichtiges und sensibles Thema. Aber wenn wir das wissen, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir keinen Druck auf die Erzeuger hinsichtlich der Kosten ausüben dürfen. Mit diesen Problemen müssen wir uns beschäftigen. Wir müssen überlegen, wie wir der Agrarwirtschaft bei der Lösung der Probleme helfen.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Eduard Oswald: Bitte kommen Sie zum Schluss.
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE):
Mein letzter Satz. – Zum Schluss. Ich finde, dass das Thema weit über die Grüne Woche hinausreichen muss. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns auf eine Anhörung zu diesem Thema verständigen könnten, wo wir viele dieser Aspekte, die hier zur Sprache gekommen sind, noch einmal genauer prüfen können und dann auch zu klugen Lösungen finden. Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)