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!! ACHTUNG!! DIESE SEITE WIRD NICHT MEHR AKTUALISIERT. Bitte wenden Sie sich mit Ihren Anliegen nach dem Ende des Mandats von Dr. Kirsten Tackmann am 26.10.2021 an die aktuelle Linksfraktion im Bundestag. Für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und konstruktive Kritik der vergangenen 16 Jahre möchten wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken.

Die Frage der Teilnahme der Bundestagsabgeordneten an der Papst-Rede im Plenum am 22. September 2011 wird breit diskutiert. Ich möchte Ihnen hier Gelegenheit geben, mit Ihren Positionen oder Argumenten an meiner Meinungsbildung teilzunehmen. Dazu steht Ihnen das Gästebuch meiner Webseite zur Verfügung: www.kirsten-tackmann.de/guestbook/index.html. Oder Sie schicken mir eine Email unter: kirsten.tackmann@bundestag.de

Vorbemerkung:

Ich bin Bundestagsabgeordnete der LINKEN und Atheistin. Aus diesem politischen Selbstverständnis ist mir Respekt gegenüber Gläubigen wichtig. Ihre Gefühle will ich nicht verletzen. Mit vielen Christinnen und Christen verbindet mich ein humanistisches Weltbild und ein Wertesystem, das sich an einer sozial-gerechten, friedlichen und solidarischen Gesellschaft orientiert.

Deshalb mache ich mir die politische (!) Entscheidung zur Teilnahme an der Rede des Papstes als Staatsoberhaupt von Vatikanstadt im Bundestag nicht leicht. Ich habe in den vergangenen Wochen mit vielen Menschen über diese Frage diskutiert, weil mir die Meinungen um mich herum gerade in diesem Fall besonders wichtig sind. Die Ratschläge gingen dabei von „auf gar keinen Fall“ bis „auf jeden Fall“ hingehen. Auch in den Medien und im Internet finden sich diese konträren Sichtweisen.

Ich möchte deshalb in den Tagen vor der Rede ein paar Fragen und Argumentationen zur Diskussion stellen, die aus meiner Sicht für die Entscheidung relevant sind.

1. Wer hat Rederecht im Bundestag?

Die Rede-, Gedanken- und Religionsfreiheit ist ein hohes Gut. Diese mache ich selbstverständlich dem Papst nicht streitig. Aber das Rederecht im Bundestag ist – aus guten Gründen – sehr streng geregelt und mit wenigen Ausnahmen den demokratisch gewählten Volksvertreter/innen sowie Vertreter/innen der Bundes- und Landesregierungen vorbehalten. Die Frage ist daher berechtigt, ob das Staatsoberhaupt von Vatikanstadt (denn nur als solches kann dem Papst überhaupt Rederecht im Bundestag erteilt werden) die besonders große internationale politische Bedeutung hat, um diese Ausnahme zu rechtfertigen. Diese Frage stellt sich umso drängender beim Rederecht in einem demokratisch gewählten Parlament, da der Papst selbst nicht durch eine demokratische Wahl in sein Amt kam.

2. Ist die religiöse Neutralität des Staates gewahrt?

Auch wenn Benedikt XVI. als Staatsoberhaupt Rederecht erteilt wird, spricht damit dennoch der Papst vor der höchsten deutschen Volksvertretung und obersten Gesetzgebung. Damit stellt sich die Frage, ob damit die religiöse Neutralität des Staates als Verfassungsgrundsatz gewahrt bleibt (Art. 137 Grundgesetz: Es besteht keine Staatskirche). Damit verbunden stellt sich eine weitere Frage: soll in Zukunft auch anderen religiösen Würdenträgern Rederecht im Bundestag gegeben werden?

3. Wie widerspricht man einer Rede ohne Debatte?

Der Papst vertritt Positionen, die breit in der Kritik stehen. Er lehnt eine moderne und pluralistische Gesellschaft ab, in der verschiedene Auffassungen und Lebensstile gleichberechtigt existieren und die mir wichtig ist. Aber das wäre für mich noch kein Grund, der Rede nicht im Plenum zuzuhören. Meine Kritik richtet sich nicht gegen Meinungsverschiedenheiten, sondern gegen menschenrechtsverletzende Positionen des Papstes. Insbesondere seine fortdauernden diskriminierenden öffentlichen Äußerungen zu Homosexualität (die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare wäre die „Legalisierung des Bösen“, Kündigung lesbischer Arbeitnehmerinnen), zur selbstbestimmten Familienplanung (Kondomverbot, erst vor knapp einem Jahr gelockert für „begründete Einzelfälle zur Verhütung von AIDS“), zu AIDS-Infizierten (AIDS müsse durch „Vermenschlichung der Sexualität“ bekämpft werden), die Ausgrenzung von Frauen aus Priesterämtern, seine verharmlosende Inkonsequenz bei Fällen von sexuellem Missbrauch von Kindern und bei antisemitischem Gedankengut katholischer Würdenträger (siehe Pius-Brüderschaft, Wiederzulassung der antijudaistischen Lesart der Karfreitagsfürbitte – Bitte um „Erleuchtung der Juden“) sind inakzeptabel. Aber wie soll man sich als Abgeordnete verhalten, wenn Benedikt XVI. solche Positionen im Bundestag vorträgt, eine parlamentarische Debatte aber nicht vorgesehen ist? Und selbst wenn der Papst diese Positionen im Bundestag nicht wiederholt, steht er dennoch in der Öffentlichkeit eindeutig für solche menschenfeindlichen Dogmen. Soll ich trotz dieser sehr schwerwiegenden inhaltlichen Kritik als Volksvertreterin am Ende höflich applaudieren, ja stehend applaudieren, wie das zumindest die Kolleg/innen von der CDU/CSU wie auch sonst langanhaltend tun werden? Wird es als indirekte Zustimmung umgedeutet, wenn ich im Plenum schweige, auch wenn ich schweigen muss? Soll ich am Ende der Rede ohne Applaus sitzen bleiben oder wäre das ein noch viel größerer Eklat, als nicht hinzugehen? Oder wäre es nicht die einzig richtige Konsequenz aus meiner schwerwiegenden Kritik an Positionen des Papstes, an der Demonstration gegen ihn teilzunehmen – unabhängig davon, ob man diese Kritik teilt oder nicht?

4. Anwesenheit bei Reden im Plenum des Bundestags

Ich verstehe die allgemeine Erwartung, dass Bundestagsabgeordnete bei Plenarreden anwesend sind und Gästen des Bundestags zuhören, unabhängig vom Inhalt der Rede.

Im Art. 38 Grundgesetz heißt es zu den Bundestagsabgeordneten: „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Und in der Geschäftsordnung des Bundestages steht in § 13 Satz 1: „Jedes Mitglied des Bundestages folgt bei Reden, Handlungen, Abstimmungen und Wahlen seiner Überzeugung und seinem Gewissen.“ Und im Satz 2: „Die Mitglieder des Bundestages sind verpflichtet, an den Arbeiten des Bundestages teilzunehmen.“

Ein breites Meinungsspektrum zu berücksichtigen, ist für mich selbstverständlich. Aber das heißt auch, dass bei triftigen Gründen die Entscheidung zur Nicht-Teilnahme an einer Plenumsrede nicht nur legitim, sondern ausdrücklich verfassungsrechtlich gedeckt und zu respektieren ist. Sind menschenrechtsfeindliche Positionen kein triftiger Grund für ein Fernbleiben?

Und: Wird diese Veranstaltung nicht endgültig zur Farce mit der Ankündigung, leere Stühle gewählter Parlamentarier/innen mit ehemaligen Abgeordneten zu besetzen, obwohl der Zugang zum Plenarsaal strikt auf gewählte Parlamentarier/innen und Vertreter/innen der Bundesregierung und des Bundesrats beschränkt ist?

Soweit meine Argumente. Nun bin ich gespannt auf Ihre Meinung!

Das Gästebuch meiner Webseite finden Sie unter: www.kirsten-tackmann.de/guestbook/index.html

Oder Sie schicken mir eine Email unter: kirsten.tackmann@bundestag.de