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Der Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik hat eine Stellungnahme zur „Koexistenz – Gentechnik in der Land- und Ernährungswirtschaft“ veröffentlicht. Dr. Kirsten Tackmann schätzt diese ein und kommt zu dem Schluss, dass die getroffenen Aussagen des Beirates "großen Anlass zur Sorge" geben.

Einschätzung der Stellungnahme „Koexistenz – Gentechnik in der Land- und Ernährungswirtschaft“ des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik vom Juni 2010

Die vorliegende Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gibt meiner Meinung nach großen Anlass zur Sorge. Besonders für die gentechnikfreie wirtschaftenden Landwirtschaftsbetriebe, Lebensmittelwirtschaft und Imkereien.

Der WB versucht seine Stellungnahme auf Fragen der Koexistenz zu fokussieren und dabei bewusst eine Positionierung für oder gegen die Agro-Gentechnik bzw. über ihre gesundheitliche und biologische Bewertung zu vermeiden. Das zumindest geht aus der Einleitung hervor. Doch die Empfehlungen zeigen klar, dass der WB aus einer „pro Agro-Gentechnik“-Position argumentiert und die GVP – entsprechend der viel kritisierten EFSA-Einschätzung – z.B. als gesundheitlich unbedenklich einstuft. Trotzdem wird mehrmals darauf verwiesen, dass solche Fragen an anderer Stelle geklärt werden müssten. Damit drückt sich das Beratergremium des BMELV um eine klare Positionierung zu den besonders heftig debattierten Kritikpunkten der Agro-Gentechnik.


Besonders kritisch sehe ich folgende Aussagen und Empfehlungen:

• Geringfügige gentechnische Verunreinigungen sollen von Gentech-KritikerInnen nicht skandalisiert werden. Das ist der Aufruf zu Vertuschung und Verharmlosung. Aus meiner Sicht muss das Recht auf tatsächlich agro-gentechnikfreie Lebensmittel geschützt werden. Das heißt, dass keinerlei Verunreinigungen toleriert werden, auch nicht in kleinsten Spuren.

• Die Vorschläge zur „guten fachlichen Praxis“ beim gv-Raps. Diese Kultur ist aufgrund der leichten Pollen, der hohen Bienenattraktivität der Blüte und der Vielzahl wildlebender europäischer Verwandter (Risiko von Superunkräutern) noch weniger koexistenzfähig als andere Kulturpflanzenarten. Selbst weniger gentechnikkritische Wissenschaftler bezweifeln, dass es eine Trennung von gentechnikfreiem Raps bzw. natürlichen Kreuzungspartnern gesichert werden kann. Das zeigen unterdessen auch internationale Anwendungserfahrungen, z. B. in Kanada.

• Im Gentechnikrecht soll klargestellt werden, dass nur noch für Verunreinigungen über dem Kennzeichnungsschwellenwert von 0,9% gehaftet werden muss. Das würde der schleichenden Verunreinigung Tür und Tor öffnen, deshalb muss jede Verunreinigung ein zu ersetzender Schaden bleiben. Würde die 0,9%-Grenze so definiert, wie das der WB vorschlägt, wird es über kurz oder lang keine gentechnikfreien Produkte mehr geben. Das ist inakzeptabel und weder im Interesse der übergroßen Mehrheit der Gesellschaft noch der gentechnikfreien Landwirtschaft und Imkerei!

• Das Vermischungsverbot soll aufgehoben werden. Damit könnten nicht zugelassene (kontaminierte) Waren in loser Ware bis zum Kennzeichnungsschwellenwert quasi verdünnt werden, anstatt sie aus dem Verkehr zu ziehen und zu vernichten. Das ist entgegen des Willens des Gesetzgebers, bei zugelassenen GVO Kontaminationen nur zu tolerieren, wenn sie „technisch nicht vermeidbar“ bzw. „zufällig“ entstanden sind! Eine absichtliche Vermischung mit kontaminierter Ware auf den Markt zu bringen, steht gegen den Willen der übergroßen Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher und ist nicht akzeptabel.

• Für Z-Saatgut soll ein Kennzeichnungsschwellenwert von 0,3% eingeführt werden. Das wäre das langfristige Aus für die gentechnikfreie Landwirtschaft – zumindest bei den betreffenden Kulturpflanzenarten. Für Saatgut muss erst Recht die Nulltoleranz gelten, denn hier geht es um vermehrungsfähiges Material.

Unterstützenswert finde ich folgende Aussagen:

• Im Rahmen des Zulassungsverfahrens sollen sozioökonomische Kriterien einbezogen werden. Das fordern wir schon lange, denn bei ernsthafter Bestandsaufnahme würde festgestellt werden, wie teuer es die Lebensmittelwirtschaft kommt, wenn einige wenige Gentech-Pflanzen nutzen wollen (Anlayse, Lagerung, Transport, etc.). Einen entsprechenden Antrag hatten wir bereits vergangene Legislaturperiode im Bundestag (DS 16/7903) gestellt.

• Die „gute fachliche Praxis“ muss für die gv-Kartoffel „Amflora“ nachgeholt werden. Das habe ich bereits Anfang des Jahres gefordert. Die Bundesregierung hatte mir auf Nachfrage mitgeteilt, dass ein Vorschlag bis Ende des Jahres erarbeitet werden soll.

• Es ist – leider – wahr, dass in „einer Welt, in der auch GV-Produkte existieren“ eine „vollständige GV-Freiheit illusorisch ist“. Das ist nun wirklich mal ein ehrliches Ergebnis der Analyse. Allerdings ziehe ich daraus eine andere Schlussfolgerung: Wenn es keine Koexistenz gibt, muss auf Gentechnik verzichtet werden! Der WB leitet daraus etwas ganz anderes ab: Die Gentechnikfreiheit muss aufgegeben werden. Das mag im Interesse der Gentech-Konzerne sein, aber nicht im Interesse der Gesellschaft und der folgenden Generationen.

• Die Kennzeichnungspflicht soll auch auf tierische Produkte ausgedehnt werden. Damit würde die lange kritisierte Kennzeichnungslücke geschlossen und damit indirekt der Anbau von gv-Futtermitteln zurückgedrängt. Mir wäre dabei wichtig, den Prozess zu kennzeichnen, der von der Gesellschaft gewollt ist: ohne Agro-Gentechnik gefüttert.

• Bei der „Ohne-Gentechnik-Kennzeichnung“ soll (obwohl sie der WB eigentlich abschaffen möchte) vorgeschrieben werden, dass die Tiere ihr ganzes Leben und nicht nur die letzten Wochen gentechnikfrei gefüttert werden müssen. Das haben wir bereits bei der Debatte um die Verordnung kritisiert, auch wenn wir den damit verbundenen Einstieg in eine entsprechende Kennzeichnung trotzdem unterstützt haben.

Insgesamt kann man dem WB für diese Ausarbeitung durchaus dankbar sein. Durch die systematische Argumentation zur so genannten Koexistenz – ich schränke das ein, weil ich es eine wirkliche Koexistenz nach internationalen Erfahrungen nicht gibt – wird deutlich gemacht, dass es nicht um eine Detailfrage, sondern um eine klare Richtungsentscheidung geht. Entweder eine Landwirtschaft mit oder ohne Agro-Gentechnik.

Für den WB scheint die Entscheidung gefallen zu sein: Eine Zukunft mit Gentech-Produkten und mit Produkten, in denen auch ein bisschen Gentech enthalten sein kann. Gentechnikfreie Landwirtschaft und Imkerei scheint es in seiner Zukunft – zumindest langfristig – nicht mehr zu geben und auch nicht geben zu müssen. Das ist eine deutliche Ansage und macht aus meiner Sicht politischen Widerstand mehr als nötig.

DIE LINKE wird dabei weiter an der Seite der gentechnikfreien Landwirtschaft, Lebensmittelwirtschaft und Imkerei streiten. Wir wollen keine Abhängigkeit der Landbewirtschaftung von kurzfristigen Profitinteressen von Saatgutkonzernen, wir wollen uns nicht der neoliberalen Landwirtschaftsdoktrin beugen. Wir werden weiterhin der Agro-Gentechnik und ihren LobbyistInnen in Industrie und Politik Paroli bieten.

Dr. Kirsten Tackmann, MdB

Anhang: 100618_wb_bmelv_stellungnahme_koexistenz_gentechnik.pdf

Anhang: 100713_wbkoexistenz_einschaetzung.pdf