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Warum das "Bombodrom" in der Kyritz-Ruppiner Heide verhindert werden konnte.


Von Wolfgang Gehrcke (MdB) und Kirsten Tackmann (MdB)erschienen in der Jungen Welt vom 17.7.2009

Verteidigungsminister Franz Josef Jung sei vernünftig, da er aus dem "Bombodrom" aussteige, heißt es in Teilen der Öffentlichkeit. Denkste! Jung ist ein typischer Vertreter des unvernünftigen deutschen Militarismus, der gescheitert ist an den vielen vernunftbegabten Neinsagenden und Verweigernden. Sie haben ein Kräfteverhältnis geschaffen, gegen das nach 17 Jahren Auseinandersetzung der Luft-Boden-Übungsplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide schlichtweg nicht durchsetzbar war. Die Kraft der Straße hat gegen die Unvernunft der Krieger gesiegt.

Das "Bombodrom" hatte in der strategischen Planung der Bundeswehr eine zentrale Bedeutung. Hier sollte für die modernen NATO-Kriege geübt werden, deren Taktik sich durch kombinierte Boden-Luft-Operationen auszeichnet. Die zu trainieren, gibt es in Deutschland nicht genügend Plätze, neben der Kyritz-Ruppiner Heide nur noch den Truppenübungsplatz Ohrdruf in Thüringen. Einen Ort für moderne Kriegsübungen verhindert zu haben, ist das Verdienst der Bürgerbewegungen und ein großes Lehrbeispiel.

Kursschwenk

Heute wollen alle Mütter und Väter des Erfolgs sein: Abgeordnete sämtlicher Parteien, Regierungsmitglieder in den Bundesländern, der Kanzlerkandidat der SPD und die Kanzlerin selbst. Eigentlich, so ihre Botschaft, waren wir immer gegen das "Bombodrom". Für eine Minderheit trifft das auch zu. Der Kursschwenk der anderen vom "Dafür" zum "Dagegen" zeigt: Truppenübungsplätze sind unpopulär. Unter ihrem Lärm und ihrer Umweltverschmutzung leiden die Anrainer. Das Nein zum geplanten Bombenabwurfplatz war zunächst für viele – und für manche ist es das bis heute – kein Nein zur Bundeswehr. Die Frage, warum und wofür will sie unbedingt diesen Platz, eröffnete erst eine tiefere Auseinandersetzung mit der Bundeswehr – ihrer Selbstherrlichkeit, mit der sie sich über die Wünsche der Menschen, einer ganzen Region hinwegsetzt, ihrer Instinktlosigkeit, einen Platz der Sowjetarmee nahtlos für sich zu reklamieren, ihrer Arroganz gegenüber den Regeln von Rechtsstaatlichkeit.

Die Bürgerinitiativen waren außerparlamentarisch, aber nicht antiparlamentarisch. Sie haben Verbündete in den Parlamenten gesucht, von der Kommune über die Kreistage, Landtage bis zum Bundestag. Verwoben mit dem Truppenübungsplatz ging es mehr und mehr auch um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Keine Ebene der politischen Auseinandersetzungen wurde ausgelassen: Sie wurden vor Ort und in Berlin geführt über Debatten in den Gemeinden und Kreistagen, Landtagen und Bundestag, in den Parteien, Vereinen, gesellschaftlichen Organisationen, bei zentralen Treffen der Friedensbewegung und vor Gericht. Es war wichtig, den Rechtsstaat für die Bewegungen zu reklamieren und vor Gerichten Recht zu suchen. Die offenen Auseinandersetzungen in Parlamenten und Gerichten trugen dazu bei, Mehrheiten in der Bevölkerung zu gewinnen und zu stabilisieren.

Die Bürgerinitiativen "Freie Heide" und Pro Heide (Unternehmerinitiative) in Brandenburg und Freier Himmel in Mecklenburg-Vorpommern waren Rückgrat, Ideengeber, Ort des Austausches von Argumenten, Zentrum der Organisation von Aktionen und oftmals auch Seelentröster – und das alles über fast zwei Jahrzehnte. Die Bürgerbewegungen verfügten über Glaubwürdigkeit, Alltagstauglichkeit und immer wieder neue Ideen. Sie waren unabhängig von Parteien, was nicht bedeutet, daß die politischen Präferenzen der einzelnen Akteure nicht erkennbar gewesen wären. Politische Parteien, auch Die Linke, mußten lernen, die Unabhängigkeit der Initiativen nicht nur zu akzeptieren, sondern sie als Stärke zu verstehen. Die Bürgerinitiativen haben die Linke nicht ausgegrenzt, obwohl der Weg zu gegenseitigem Vertrauen lang und widersprüchlich war und es an die Substanz des eigenen politischen Selbstverständnisses ging.

Die Bewegung gegen das Bombodrom hat sich nicht von Anbeginn als Teil der Friedensbewegung verstanden. Zu ihrem Selbstverständnis gehörte es, daß sie sich nicht für ein allgemeines, sondern ein besonderes Ziel einsetzt: gegen jenen Truppenübungsplatz. Erst in den letzten Jahren wurde die Erweiterung der Losung "Kein Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide" um das "und anderswo" mehrheitsfähig. Die Anerkennung des Arguments der Linken "Wir wollen nicht, daß hier geübt wird, was anderswo in der Welt, etwa im Irak und Afghanistan, blutige Wirklichkeit ist", bedurfte vieler Diskussionen mit den Menschen der Region. Die Protestwanderungen, Aktionen und Ostermärsche haben immer mehr Bürgerinnen und Bürger aus der ganzen Republik angezogen und wurden zu Kundgebungen gegen das "Bombodrom", gegen Aufrüstung und gegen die Kriege in der Welt.

Binnenklima

Um 17 Jahre eine politische Bewegung aufrechtzuerhalten, bedarf es nicht nur vieler Ermunterungen in der Gesellschaft, sondern auch eines Binnenklimas, das Menschen verbindet und zur Selbsttätigkeit ermuntert. Der Ideenreichtum hat die etablierte Politik immer wieder verblüfft. Erstmalig konnten Argumente, vor allem das der Arbeitsplätze und der internationalen Verantwortung Deutschlands, nicht gegen die Bewegung gewendet werden. Auf die Vorhaltung, die Bundeswehr müsse hier üben, um unsere Soldaten in alle Welt zu schicken, antwortete die Bewegung: Schluß mit den Kriegen! Das Lockmittel Arbeitsplätze, die die Bundeswehr versprach, wirkte nur in einem Teil der Bevölkerung. Größere Überzeugungskraft gewann der Nachweis – ein Verdienst vor allem der Unternehmerinitiative Pro Heide -, daß das "Bombodrom" Arbeitsplätze und Zukunft vernichtet. Ohne gute Argumente kein politischer Erfolg!

Die Bewegungen gegen das "Bombodrom" waren kulturelle Bewegung, eine Volkshochschule der Demokratie und ein Ort von Ost-West-Begegnung. Sie waren originär ostdeutsch. Sie hatten, für Die Linke zunächst nicht unkompliziert, viel mit Liebe zur Natur und zur Heimat zu tun. Viele Unterstützerinnen und Unterstützer der Aktionen wollten die Umwelt und Natur verteidigen, nicht in Heimattümelei und provinzieller Beschränktheit, sondern aus ihrem Interesse an einem guten Leben für sich und andere.

Der gewitzte politische Ungehorsam von Freier Heide und Freiem Himmel hatte immer wieder mit Kunst zu tun oder wurde selbst zu einem Kunstwerk. Mahnsäulen wurden aufgestellt, Konzerte organisiert, Militäreinrichtungen pinkfarben verschönert, Kundgebungen zu Ostern wurden zu kulturellen Großbildern gegen das Bombodrom, jeder einzelne selbst zum Teil von Kunst. Die Kreativität der Bewegung war stärker als die Einfallslosigkeit der Macht. Ohne kulturelle Hegemonie kein politischer Erfolg.

Menschen mit einer hohen Moral haben viel für die Freiheit der Heide getan. Wir denken besonders an den verstorbenen Bürgermeister der Gemeinde Schweinrich, Helmut Schönberg, und an die "Mutter der Freien Heide", die Sozialdemokratin Annemarie Friedrich. Die friedliche Kyritz-Ruppiner Heide ist auch ein Denkmal für sie.