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TOP 20, Rede zu Protokoll: Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE. „Lehren aus dem Dioxin-Skandal ziehen – Ursachen bekämpfen“, Drucksache 17/5377

©Bianca Bodau

©Bianca Bodau

Agrarpolitik könnte so schön sein. Wiesen, Wälder und Traktoren. Das sind Themen, mit welchen ich mich gerne beschäftigen würde. Stattdessen müssen die Mitglieder des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (ELV) in regelmäßigen Abständen Skandale aufarbeiten. Erinnern wir uns an BSE oder die Berge von brennenden Tierkadavern in der MKS-Krise. Oder ans Gammelfleisch. Oder eben an den Futtermittelskandal Anfang des Jahres 2011: Kaum war die letzte Silvesterrakete explodiert, platzte die Dioxin-Bombe!

Illegale Panscherei in der Futtermittelindustrie erschütterte das politische Berlin. Belastetes Industriefett war mindestens über Monate hinweg ins Tierfutter gemischt worden und keiner hatte es gemerkt. Das hochgelobte QS-Prüfsystem – unter Renate Künast als Allheilmittel eingeführt – hat dieses kriminelle Handeln nicht eindämmen können. Das ist die eine Schwachstelle im System. Die andere ergibt sich aus der hochriskanten Art und Weise, wie heutzutage Futtermittel hergestellt werden. Das Risiko ergibt sich zunächst aus der offensichtlich kriminellen Motivation einiger Manager zur Profitmaximierung durch Kostenminimierung bei Rohstoffen. Oft genug auch auf Kosten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und es gibt drei weitere wesentliche Risiken: 1. Kenntnislücken über Eintragsrisiken des Umweltgiftes Dioxin in die Lebensmittelkette. 2. Die hohe Anzahl von Futtermittelzusätzen. 3. Die sehr komplexen Lieferbeziehungen in der Futtermittelbranche, die zur Folge haben, dass tausende Höfe in mehreren Bundesländern vorsorglich gesperrt werden mussten, weil ein Futtermittelhersteller kriminell gehandelt hat. Diese Betriebe hatten keinerlei Chance, diesem Risiko zu entgehen. Der Schweinemarkt brach zusammen, gegenseitige Schuldzuweisungen füllten wochenlang die Medien. Eine ganze Branche stand unter Verdacht.

DIE LINKE meint der Dioxin-Skandal wäre vermeidbar gewesen, wäre bereits nach den Erfahrungen aus früheren Skandalen ein wirklich wirksames, bundesweites Kontrollsystem installiert worden. Hier haben alle Bundesregierungen der jüngeren Vergangenheit versagt.

Die Bundesregierung will nun konsequent handeln – leider aber wieder unzureichend, weil nicht strategisch und strukturverändernd. Bundesagrarministerin Aigner legte einen 10-Punkte-Plan vor und verständigte sich mit den zuständigen Ministerinnen und Ministern der Länder auf einen 14-Punkte-Plan. Das war ein erster Schritt, dem nun aber Taten folgen müssen. Der Bund-Länder- Plan enthält Maßnahmen und Gesetzesvorhaben, die eine Wiederholung des Dioxin-Skandals verhindern sollen. Einiges davon hat auch DIE LINKE gefordert und das unterstützen wir natürlich, aber insgesamt wird das nicht ausreichen. Zum Beispiel fehlen dringend notwendige Forschungsvorhaben zu Einschleppungsrisiken von Umweltgiften in die Lebensmittelkette. Auch eine systematische Überprüfung der Kontrollsysteme ist eine Fehlstelle. Mal abgesehen davon, dass an den strukturellen Ursachen in der Branche kaum gerüttelt wird. Aber genau hier muss aus Sicht der LINKEN ein strategisches Handlungskonzept ansetzen.

Leider werden von den 14 Bund-Länder-Vorhaben nur ganze zwei im Deutschen Bundestag als Gesetzentwürfe behandelt: Das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB), zu dem in der kommenden Woche eine Anhörung des ELV-Ausschusses stattfindet, und eine Novelle des Verbraucherinformationsgesetzes. DIE LINKE sieht es als wenig nachvollziehbar an, dass wesentliche Entscheidungen – z.B. Trennung der Produktionsströme, verbindliche Anforderungen an das Eigenkontrollsystem der Unternehmen und die Zulassungspflicht für die Futtermittelbetriebe – in Rechtsverordnungen geregelt und damit nicht im Parlament behandelt werden sollen. Das sind wesentliche Fragen, die wegen ihrer Bedeutung für die Verbraucherinnen und Verbraucher durch das Parlament entschieden werden sollten. Der Entwurf einer Änderung der Futtermittelverordnung liegt mittlerweile auch auf dem Tisch. Die Futtermittellobby hat bereits Protest angemeldet und kritisiert angeblichen politischen Aktionismus. Ministerin Aigner wird also Schwierigkeiten haben, selbst die meiner Meinung nach wenig ambitionierten Vorhaben gegen die geballte Lobby durchzusetzen. Wettbewerbsverzerrungen werden befürchtet und ein nationaler Alleingang abgelehnt – am besten solle alles fast so bleiben, wie es war, findet die Industrie. Aber ein weiter so darf es aus meiner Sicht auf gar keinen Fall geben.

Aus Sicht der LINKEN sind Aigners Vorschläge nicht ausreichend. Es müssen weitergehende Konsequenzen gezogen werden. Wir meinen, der Dioxin-Skandal darf nicht nur Änderungen kosmetischer Natur zur Folge haben, sondern muss an die Basis der Futtermittelproduktion und –kontrolle heran. Darum bringen wir heute unseren Antrag „Lehren aus dem Dioxin-Skandal ziehen – Ursachen bekämpfen“ in den Bundestag ein.

Wir fordern die strukturellen Defizite in der Lebensmittel- und Futtermittelkontrolle zu beseitigen. Wir wollen, dass Landwirtinnen und Landwirte genauso wie Verbraucherinnen und Verbraucher vor schädlichen Umwelteinflüssen und Giften geschützt werden. Der unter rot-grün begonnene zunehmende Ersatz staatlicher Kontrollen durch Eigenkontrollen der Betriebe – nach deren eigenen Regeln – hatte verheerende Folgen. Aus unserer Sicht wird ein strategischer Ansatz zur Lösung des Problems gebraucht. Das heißt: die gesamte Produktionskette mit den Stoffkreisläufen vom Acker bis zum Teller muss wirksam unter Kontrolle genommen werden.

Wir schlagen ein betriebliches Zertifizierungssystem nach strengen gesetzlichen Vorgaben – das ist sehr wichtig – für die gesamte Erzeugungskette vom Stall bis in die Ladentheke vor. Das wurde uns übrigens schon mal in der Anhörung zum Gammelfleischskandal vor einigen Jahren empfohlen und wir greifen das jetzt auf. Die daraus entstehenden Mehrkosten sollten branchensolidarisch umgelegt werden. Das Zertifikat muss auf strengen gesetzlichen Regeln basieren und die einzelnen Marktteilnehmer und ihr Handeln überwachen. Für jede Futtermittelcharge sollte vor der Verarbeitung zu einem Mischfutter die Unbedenklichkeit nachgewiesen werden. Labore sollten verpflichtet werden über auffällige Befunde den Behörden zu berichten, d. h. in Verdachtsfällen oder bei Grenzwertüberschreitungen in Futtermitteln. Die Berliner Verbrauchersenatorin der LINKEN, Katrin Lompscher, hält die von der Bundesregierung vorgesehene Meldepflicht nicht für weitgehend genug, wie sie in ihrer Stellungnahme zur LFGB-Anhörung am 11.04.2011 schreibt. Sie fordert eine Ausweitung der Meldepflicht auf jede Person, die beruflich mit Lebens- oder Futtermitteln zu tun hat und Unstimmigkeiten dabei feststellt. Aigner will sie auf Laboratorien beschränken. DIE LINKE will die staatlichen Kontrollen stärken, indem zum Beispiel die Zusammenarbeit der Länder weiter verbessert und der Zugang zu allen Betriebsdaten der Erzeugerkette ermöglicht wird.

Der Dioxin-Skandal hat nicht nur Verbraucherinnen und Verbraucher verunsichert – der Run auf Bio-Eier war ein deutliches Signal, denke ich – sondern auch viele Landwirtinnen und Landwirte hart getroffen. Ihre wirtschaftliche Existenz wurde bedroht. Der Lieferstopp sorgte für fehlende Einnahmen auf vielen Bauernhöfen. Dazu kommt noch der Vertrauens- und Kundenverlust durch jeden weiteren Lebensmittelskandal. Einzig der kriminellen Gier und Skrupellosigkeit einiger Weniger ist es zu verdanken, dass eine ganze Branche so schwer erschüttert werden konnte.

Dabei sind die meisten Landwirtinnen und Landwirte völlig unschuldig in diese Situation geraten. DIE LINKE fordert die betroffenen Betriebe mit ihren finanziellen Schwierigkeiten nicht allein zu lassen und Entschädigungsleistungen zu ermöglichen. Beispielsweise über die landwirtschaftliche Rentenbank. Per Gesetz sollte für zukünftige Schadensfälle ein Ausgleichsfonds geschaffen werden. Dieser muss von der Futtermittelindustrie finanziert werden. Haftpflichtregelungen reichen nicht, weil sie bei vorsätzlichem Handeln nicht greifen.

Abschließend noch ein Wort zum Thema Forschung. Die wird ja immer gern vergessen, ist jedoch die Grundlage für die Politikberatung. Also für unser Handeln im Deutschen Bundestag. Wir brauchen ein veterinär-epidemiologisches Zentrum, das sich z. B. auch mit den Eintragsrisiken von Umweltgiften in die Nahrungsmittelkette befasst. Und wir brauchen die Entwicklung von zuverlässigen und schnelleren Diagnostikmethoden. Aber statt die politikberatende Forschung zu stärken, wird die Bundesressortforschung seit Jahren und seit mehreren Bundesregierungen immer weiter zusammengestrichen. Das kritisiert DIE LINKE schon seit Jahren. Gemeinsam mit den Bundesländern muss eine Strategie zur Sicherung der Futtermittelsicherheit erarbeitet und ständig weiter entwickelt werden. Gesetzgeberische Lücken müssen identifiziert und konsequent geschlossen werden.