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!! ACHTUNG!! DIESE SEITE WIRD NICHT MEHR AKTUALISIERT. Bitte wenden Sie sich mit Ihren Anliegen nach dem Ende des Mandats von Dr. Kirsten Tackmann am 26.10.2021 an die aktuelle Linksfraktion im Bundestag. Für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und konstruktive Kritik der vergangenen 16 Jahre möchten wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken.

Die UTP-Richtlinie der EU, die das Verbot von unlauteren Handelspraktiken regelt, muss bis Mai 2021 in Deutschland umgesetzt werden. Zum entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung fand am 22. Februar eine öffentliche Anhörung im Ausschuss für Landwirtschaft und Ernährung statt, in der nahezu alle Sachverständige den Gesetzentwurf als unzureichend kritisierten. Als LINKE fordern wir unlautere Handelspraktiken grundsätzlich zu verbieten, um die erpresserische Übermacht von verarbeitender Industrie (Schlachtung und Molkerei) Lebensmittelhandel gegenüber den Erzeugerbetrieben zu beenden.

Keine Macht für niemand

von Dr. Kirsten Tackmann

Supermarktketten sollen in Zukunft weder die Lieferung verderblicher Ware kurzfristig stornieren können, noch den Erzeugerbetrieben die Kosten für die Entsorgung überlassen oder die Lieferung erst später als 30 Tage nach Erhalt bezahlen. Zehn solcher unlauteren Handelspraktiken, die auf der sogenannten schwarzen Liste der EU stehen, sollen verboten werden. Das regelt die Richtlinie 2019/633 über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette – kurz: UTP-Richtlinie. Diese wurde im April 2019 vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union beschlossen und muss bis spätestens 1. Mai 2021 auch in Deutschland umgesetzt werden. Die Bundesregierung hat dazu ein neues Gesetz vorgelegt, das Agrarorganisationen- und -Lieferketten-Gesetz – kurz AgrarOLkG. Zu diesem Gesetzentwurf fand am 22. Februar 2021 eine öffentliche Anhörung im Landwirtschafts- und Ernährungsausschuss statt, zu der acht Sachverständige aus Handel, Behörden, Ernährungsindustrie, Nutzer:innenverbände und Nichtregierungsorganisationen virtuell zugeschaltet waren sowie ein Vertreter einer Kanzlei, die seit Jahren zu unlauteren Handelspraktiken arbeitet. Nach Meinung fast aller ist der Gesetzentwurf unzureichend, obwohl er schon etwas über eine 1:1 Umsetzung der EU-Richtlinie hinausgeht. Die erpresserische Übermacht, mit der die Erzeugerbetriebe von verarbeitender Industrie (Schlachtung und Molkerei) und dem Lebensmittelhandel unterdrückt werden, wird so nicht beendet werden.

Lediglich zwei der Praktiken aus der so genannten grauen Liste der EU-Richtlinie, also Handelspraktiken, die bei Einigung der Vertragsparteien weiter erlaubt sein sollen, werden nach dem Willen der Bundesregierung auch auf die so genannte schwarze Liste der Praktiken, die generell verboten sind, gesetzt:

  • das Zurückschicken von nicht verkauften Erzeugnissen ohne Bezahlung der Ware und der Entsorgung und
  • dass Lagerkosten nicht auf Lieferant:innen abgewälzt werden

Weiterhin erlaubt bleiben sollen im Gesetzentwurf Handelspraktiken aus der grauen Liste wie z. B. die Rückgabe unverkaufter Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse von Käufer:innen an Lieferant:innen ohne Zahlung des Kaufpreises oder Zahlungsverlangen der Käufer:innen für Listung, Angebot, Lagerung und Bereitstellung der Erzeugnisse auf dem Markt. Es bleiben aber auch Handelspraktiken erlaubt, die weder grau noch schwarz gelistet sind, aber beispielhaft die Marktmacht der Konzerne gegenüber den Lieferant:innen zeigen, die entweder allein oder in Erzeuger:innenkooperationen agieren. Das sind zum Beispiel:

  • Kauf der Ware unterhalb der Produktionskosten
  • Auslisten von Lieferant:innen/Erzeuger:innen ohne sachlich Rechtfertigung
  • Inverse Auktionen, bei denen online Verkaufspreise eingesehen werden können mit dem Ziel, diese zu unterbieten

Die überwiegende Zahl der Expert:innen forderte sehr deutlich, alle Handelspraktiken der grauen auf die schwarze Liste zu setzen und sie damit ganz zu verbieten. Denn eine faire Vereinbarung würde zwingend Augenhöhe der Beteiligten voraussetzen, die aber nachweislich nicht gegeben ist.

Jenseits der Diskussion zur Zuordnung von Handelspraktiken in graue oder schwarze Listen hat der Gesetzentwurf weitere Defizite. So ist nach Auffassung fast aller Expert:innen die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Unternehmen bis zu einer Umsatzgröße von 350 Millionen Euro unsinnig, weil dies viele Verarbeitungs- und Vermarktungsunternehmen ausschlösse und sich unfaire Handelspraktiken nicht am Umsatz festmachen lassen. Außerdem könnten insbesondere Großkonzerne das Bußgeld mit maximal 500.000 Euro aus der Portokasse bezahlen. Im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sind zum Beispiel 10 Prozent des Gruppenjahresumsatzes festgeschrieben, was zu deutlich höheren Bußgeldern führen kann.

Überhaupt bemängelten viele Sachverständige fehlende Konsistenz zwischen den beiden relevanten Gesetzen (AgrarOLkG und GWB), die zu Regelungslücken führen könnten. Dass die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) als Durchsetzungsbehörde für das Gesetz vorgesehen ist, sehen ebenfalls einige Sachverständige kritisch und würden die Verantwortung eher beim Bundeskartellamt sehen, das über umfangreiche Erfahrungen bei der Bewertung unlauterer Handelspraktiken verfügt. Diese spielen ja nicht nur im Lebensmittelbereich eine Rolle, sondern überall da, wo ein Marktmachtgefälle zwischen Handelspartner:innen besteht.

Als LINKE teilen wir die Kritik am Gesetzentwurf. Unlautere Handelspraktiken müssen grundsätzlich verboten sein. Eine Generalklausel muss auch alle bisher unbenannten unfairen sowie im Zuge des Gesetzesvollzugs bekannt werdende neue oder abgewandelte Handelspraktiken erfassen. Es braucht zudem eine Beweislastumkehr, damit nicht der Schwächere dem Stärkeren, von dem er abhängig ist, das Fehlverhalten nachweisen muss. Die im Gesetz vorgesehene Beschwerdestelle ist nicht ausreichend, insbesondere muss strikte Anonymität gesichert werden. Eine ergänzende, unabhängige Ombudsstelle muss anonym unlautere Handelspraktiken, Dumpingpreise sowie Verstöße bei Löhnen und Gehältern untersuchen, dokumentieren, aber auch ahnden und gegebenenfalls sanktionieren bzw. an die zuständige Behörde weiterreichen können. Darüber hinaus wird eine Preisbeobachtungsstelle gebraucht, ähnlich wie sie bereits in Spanien existiert. Sie soll Richtwerte für kostendeckende bzw. existenzsichernde Preise als Mindestproduktpreise festlegen, in die die alle nachvollziehbaren Produktionskosten eingepreist sind. Eine solche Mindestpreisregelung muss aber einschließen, auch die Produktionsmenge zu steuern – deshalb hat der Experte vom Bundesverband der Milchviehhaltenden, Foldenhauer, vollkommen zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Markmanagementsystem ergänzend zum Verbot unlauterer Handelspraktiken notwendig ist, dass auch die Erzeugungs- mit der Verarbeitungsstufe auf Augenhöhe bringt. Auch eine Streichung des Zwangs, dass sich Erzeuger:innenorganisationen stufenübergreifend organisieren müssen, würde dazu beitragen. Wichtig war aus LINKER Sicht auch der Hinweis von OXFAM, dass über Entflechtung nachgedacht werden muss, wenn man die strukturelle Marktübermacht der Verarbeitungs- und Handelskonzerne wirklich beenden will.

Grundprinzip des Gesetzes muss es in jedem Falle sein, Landwirt:innen vor der Marktübermacht der nachgelagerten Bereiche zu schützen. Sie brauchen eine faire Bezahlung ihrer Arbeit und damit ein Einkommen, von dem sie gut leben können. Sonst wird sich die soziale Krise in der Landwirtschaft weiter zuspitzen, die zu den neuesten Protesten des Berufsstands zumindest beiträgt.