Durch EHEC herrscht gerade große Verunsicherung unter Verbraucherinnen und Verbrauchern. Nach dioxinverseuchtem Futtermittel, Gammelfleisch, Rinderwahnsinn und Vogelgrippe bedrohen aktuell gefährliche Darmbakterien unsere Gesundheit. Die Politik tappt von einer Krisenbewältigung in die nächste. Wie konnte die landwirtschaftliche Produktion zu einem derart lebensbedrohlichen Risikofaktor werden?
Kirsten Tackmann: Landwirtschaft an sich ist kein lebensbedrohliches Risiko. Ganz im Gegenteil, sie stellt tagtäglich gesunde Nahrung her – im wahrsten Sinn des Wortes Mittel zum Leben. Trotzdem haben sich im sensiblen Bereich der Agrarwirtschaft Fehler im System entwickelt, die zu gesundheitlichen Risiken beitragen. Aktuelles Beispiel ist der Darmkeim EHEC. Die Produktions- und Lieferbeziehungen sind so weit verzweigt, dass sich technisches oder menschliches Versagen oder die Veränderungen an Infektionserregern sehr breit auswirken und immer schwerer beherrschbar sind. Das hochkomplexe System macht solche Probleme außerdem wahrscheinlicher.
Neulich gab’s bei mir im Supermarkt Schnittlauch nur aus Südafrika – im Mai wohl gemerkt. Anfangs mutmaßte man, die EHEC-Gurken würden aus Spanien stammen. Bundesdeutsche Bauern kriegen Geld von der EU, wenn sie Ackerflächen stilllegen. Wer profitiert davon?
Dass die gefährliche Variante der EHEC-Infektionen von spanischen Gurken stammen soll, ist mittlerweile widerlegt. Die Infektionsquelle ist damit nach fast zwei Wochen immer noch unklar. Das ist leider bei EHEC eher typisch. Beunruhigend weil ungewöhnlich ist dagegen, dass sie nach wie vor aktiv ist und damit weiter Menschen an ungewöhnlich schweren klinischen Verläufen erkranken. Die Suche nach der Infektionsquelle ist aufgrund des unsinnig weit verzweigten Netzes des Nahrungsmittelhandels schwierig. Der Infektionsort scheint in Norddeutschland zu liegen – aber die Infektionsquelle kann dort oder woanders auf der Welt sein. Bei regionaler Erzeugung und Verzehr von Lebensmitteln wäre die Suche einfacher und die Auswirkungen begrenzter. Äcker-Stilllegungsprämien werden allerdings schon ein paar Jahre in der EU nicht mehr gezahlt. Der Import von Lebensmitteln hat eher mit Dumpingpreisen auf dem Weltagrarmarkt zu tun. Oder damit, dass wir Erdbeeren auch im Winter essen wollen. Auf diesem globalisierten Agrarmarkt profitiert vor allem der Lebensmitteleinzelhandel auf Kosten der Landwirte oder Obst- und Gemüsebauern.
Für die ärmeren Länder des Südens bleiben die reichen Industrienationen trotz Dumpingpreisen wichtige Absatzmärkte für ihre landwirtschaftlichen Produkte. Wie kann die globalisierte Landwirtschaft auf ein vernünftiges Maß gebracht werden?
Das ist eine wichtige Frage. Gegen internationalen Handel kann man meiner Meinung nach nichts haben. Aber er muss erstens volkswirtschaftlich – nicht allein betriebswirtschaftlich – und ökologisch sinnvoll und zweitens fair, also sozial gerecht sein. Beides ist momentan nicht der Fall. Es ist unverantwortlich, wenn Länder des Südens für die EU Exportfrüchte anbauen, wenn sie gleichzeitig nicht genug Flächen haben, um für sich selbst Nahrungsmittel zu produzieren. Das betrifft vor allem Futtermittel-Soja und Treibstoffplanzen wie Ölpalmen oder Zuckerrohr. Gleichzeitig ist die Handelsmacht des Nordens meist so groß, dass von fairen Erzeugerpreisen nicht gesprochen werden kann und Billigexporte die regionalen Erzeugermärkte zerstören. Übrigens auch innerhalb der EU. DIE LINKE will deshalb konsequente soziale und ökologische Regeln auf den Agrarmärkten, Verhinderung von Spekulationen mit Agrarrohstoffen. Und die EU-Agrar-Exportsubventionen müssen endlich eingestellt werden.
Und die bundesdeutsche Landwirtschaft? Wodurch will DIE LINKE erreichen, dass Bäuerinnen und Bauern hierzulande von tatsächlich landwirtschaftlicher Produktion leben können?
Wir brauchen erstens eine Machtverschiebung in der Wertschöpfungskette. Weniger Macht für den Großhandel, dafür mehr Macht für die Erzeugerseite. Beispielsweise durch Genossenschaften oder Erzeugerzusammenschlüssen. Das European Milk Board ist so ein Beispiel. Zweitens fordern wir einen gesetzlichen Mindestlohn, also auch in der Agrarwirtschaft. Und drittens sind wir auch alle als Verbraucherinnen und Verbrauchern in der Verantwortung: Regional kaufen, heißt auch mehr Kontrollmöglichkeiten für faire Preise. Nur billig kaufen, unterstützt risikoreiche statt sozial und ökologisch verantwortungsvolle Strukturen. Aber das ist angesichts der Armutsentwicklung auch in unserem Land natürlich gerade für mich als LINKE-Abgeordnete eine schwierige Diskussion.
Wo sich der Kreislauf abermals bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern schließt. Die müssen letztlich faire Preise zahlen können.
Genau das meinte ich. Darum auch der gesetzliche Mindestlohn. Wer selbst jeden Cent zweimal umdrehen muss, hat beim Einkauf kaum die Möglichkeit, faire Preise zu bezahlen. Bio ist auch ein bisschen elitär. Deshalb brauchen alle Erwerbstätigen mehr in der Lohntüte, damit es auch den Bauern besser gehen kann. Allerdings gibt es auch genug Menschen, die sich eher ein teures Auto als Lebensmittel mit fairem Preis leisten. Es ist also nicht nur eine Frage des verfügbaren Geldes, sondern auch eine Frage der eigenen Prioritäten. Das muss letztendlich jeder selbst entscheiden.
Wie groß ist eigentlich der Einfluss von Lobbyverbänden in der Landwirtschaft?
Als Agrarpolitikerin habe ich viel Kontakt zu Lobbyverbänden und ich finde, dass sich das in die richtige Richtung bewegt. Die Agrardebatten dominiert nicht mehr der Deutschen Bauernverband, auch wenn er ein wichtiger Interessenvertreter bleibt. Aber auch andere Landwirtschafts- oder Umweltverbände oder Vereine der Entwicklungszusammenarbeit mischen sich in die politischen Debatten ein. Sie vertreten legitim ihre jeweiligen Anliegen, die bei politischen Entscheidungen mitgedacht werden müssen. Wichtig ist dabei Transparenz und dass man sich als Abgeordnete ein objektives und unabhängiges Urteilsvermögen erhält. Denn insgesamt ist der Einfluss der Agrarlobby nicht zu unterschätzen. Verbindungen zwischen den Spitzenverbänden und den Bundesministerien sind intensiv. Hier haben wir als Opposition ein wachsames Auge.
Welche Chancen sehen Sie, dass es durch EHEC ein grundsätzliches Umdenken in der Agrarpolitik gibt?
EHEC hat uns offensichtlich völlig unvorbereitet getroffen. Wir wissen zu wenig über das Bakterium selbst, wo es herkommen könnte, über seine Wege in die Lebensmittelkette und die Risiken, sich zu infizieren. Das zeigt eklatante Defizite in der Risikoforschung und -überwachung. Damit wird ein ohnehin riskantes System unkalkulierbar. Allein diese Tatsache müsste zu tiefem Nachdenken führen. Stattdessen wird dem Problem wieder einmal routiniert hinterhergelaufen. Deshalb fürchte ich, dass auch dieses Mal nur Symptome behandelt werden, aber kein Umdenken in der Agrarpolitik stattfindet. EHEC ist natürlich keine direkte Folge einer verfehlten Agrarpolitik, aber sie trägt dazu bei. Die Agrarpolitik krankt ja an vielen Stellen: Artenschwund, Arbeitsplatzabbau, Klimawandel, Spekulationen mit Boden und Rohstoffen. Hier gibt es viel zu tun.