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Weibliche Genitalverstümmelung ist eine schwere Menschenrechtsverletzung. Um Migrantinnen auch in Deutschland vor dieser Gewalterfahrung zu schützen, ist anspruchsvolle Beratungs- und Aufklärungsarbeit notwendig. Diese braucht viel Zeit, Geld und muttersprachliche Mitarbeiterinnen. DIE LINKE. fordert deshalb die Bundesregierung auf, die Arbeit der wenigen, meist ehrenamtlichen Aktivistinnen und Beratungsstellen wirkungsvoll zu unterstützen und zu einem bundesweiten Beratungsnetz auszubauen.

zu Protokoll gegebene Rede zum Antrag "Wirksame Bekämpfung der Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen" der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, Bundestagsdrucksache 16/9420; 1. Lesung

Sehr geehrte/r Frau/Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste, Weibliche Genitalverstümmelung ist eine schwere Menschenrechtsverletzung, die Frauen dauerhaft der sexuellen Selbstbestimmung und eines Teils ihrer Persönlichkeit beraubt und das Recht auf körperliche Unversehrtheit in schwerster Form verletzt. Mit der Forderung nach stärkeren und schärferen Gesetzen zur Strafverfolgung allein wird sich diese menschenverachtende Praxis nicht – weder hier noch anders wo – verhindern lassen. Ich bin erfreut, im Antrag der Fraktionen der SPD und der CDU/CSU zu lesen, dass sie die Sichtweise unserer Fraktion übernommen haben und statt der Einführung eines neuen Straftatbestandes lieber darauf einwirken wollen, dass die bereits bestehende "Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien als Körperverletzung der breiten Öffentlichkeit und insbesondere bei den Migrantenorganisationen stärker bekannt gemacht wird und Mädchen und Frauen umfassend über ihre Rechte und über Beratungs- und Zufluchtsmöglichkeiten aufgeklärt werden." Dass es einigen Expertinnen bei der Forderung nach einem eigenen Straftatbestand nicht vorrangig um die Strafverfolgung ging, wurde ja auch in der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu den Anträgen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP-Fraktion und unserer Fraktion DIE LINKE am 19.09.2007 deutlich. Beispielsweise wurde dafür plädiert, einen eigenen Straftatbestand "eher aus programmatisch abschreckender Perspektive" zu schaffen, um die Aufklärungsarbeit zu erleichtern. Aus unserer Sicht ist es der wirkungsvollere Weg, wenn die Koalitionsfraktionen jetzt die Aufklärungs- und Beratungsarbeit durch umfassende Öffentlichkeitsarbeit unterstützen will. Es ist erst auf den zweiten Blick nachvollziehbar, welche Schwierigkeiten mit einer sensiblen und unbedingt antirassistischen Aufklärungs- und Beratungsarbeit tatsächlich verbunden sind: Es geht um mehr als ein gesellschaftliches Tabu, dass verhindert, über Sexualität zu sprechen. Es geht oft um ganz konkrete, individuelle Traumata, die eine Gesprächspartnerin erlitten hat. Während in der europäischen Diskussion davon gesprochen wird, dass die Genitalien der betroffenen Frauen verstümmelt wurden, bezeichnen sich die meisten Afrikanerinnen als "beschnitten". Uns geht es vor allem auch um einen kultursensiblen Umgang. Das bedeutet zu verstehen, dass afrikanische Frauen ihren Töchtern nicht nur nicht schaden wollen. Vielmehr wollen sie ihnen "etwas Gutes tun". Denn Genitalverstümmelung ist in vielen ethnischen Gruppen die Vorbedingung für die Aufnahme von Frauen in die soziale Gemeinschaft. Nur so erhalten sie die Chance, über eine Ehe ihren Lebensunterhalt abzusichern. Das kann, nein das muss man ächten – aber es erfordert eben auch den Bruch mit uralten Bräuchen und Ritualen. Im Grunde geht es um nichts weniger, als die notwendige Veränderung der sozialen Stellung der Frau in diesen Gesellschaften und Communities! Der Ruf nach härteren Strafen ist angesichts dieser Herkules-Aufgabe ebenso hilf- wie erfolglos! Eine solche anspruchsvolle Beratungs- und Aufklärungsarbeit braucht viel Zeit, Geld und muttersprachliche Mitarbeiterinnen. Bislang wird diese Arbeit von einzelnen – meist ehrenamtlichen Aktivistinnen und Beratungsstellen geleistet. Ihre Arbeit muss dringend unterstützt und zu einem echten Beratungsnetz ausgebaut werden. Hier sind die Forderungen der Koalitionsfraktionen allerdings erschreckend dünn ausgefallen! Es ist bei weitem nicht genug, wenn sich die Bundesregierung gemeinsam mit den Bundesländern dafür einsetzt, "dass für Betroffene Beratungs- und sonstige Unterstützungsleistungen auch weiterhin angeboten werden". Hier ist die Bundesregierung vielmehr in der Pflicht, endlich eine zentrale Stelle zur Koordination und Vernetzung der Initiativen gegen Genitalverstümmelung zu schaffen! Auch eine weitere wichtige Forderung wurde in der Anhörung bestätigt: es ist absolut notwendig, dass Migrantinnen bzw. Migranten beim Arztbesuch kostenfrei eine Dolmetscherin in Anspruch nehmen können. Es kann nicht sein, dass etwa männliche Verwandte als "Dolmetscher" zur gynäkologischen Untersuchung einer genitalverstümmelten Frau hinzugezogen werden. Dazu schweigt die Regierungskoalition aber lieber, denn dass hieße ja, sich ernsthafte Gedanken zu machen, wie ein effektives Hilfesystem aufgebaut und finanziell abgesichert werden kann. Abschließend komme ich zu einem letzten wichtigen Punkt, der weit über die notwendige Beratung und Aufklärung hinaus geht: Selbst wenn afrikanische Frauen über die schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen informiert sind und ihre Töchter vor einer Genitalverstümmelung schützen wollen – gegen patriarchale gesellschaftliche Normen könnten sie sich nur auflehnen, wenn sie eigenständig für ihre eigene und die Existenz ihrer Kinder sorgen können. Frau Faduma Korn von Forward Germany e.V. hat es in der Anhörung auf den Punkt gebracht: "Mütter aus Afrika beschneiden ihre Kinder nicht, weil sie Spaß daran haben, sondern weil sie keine andere Möglichkeit sehen, ihnen eine sichere Zukunft zu geben." Meine Fraktion DIE LINKE hat in ihrem eigenen Antrag "Weibliche Genitalverstümmelung verhindern – Menschenrechte durchsetzen" (16/4152) daher die Bundesregierung ausdrücklich aufgefordert, die- vorhandene Armut in Ländern, in denen weibliche Genitalverstümmelung verbreitet ist, durch entsprechende Projekte und Hilfsangebote zu bekämpfen und durch einen besseren Sozialstandard die Lebenssituation der von Genitalverstümmelung betroffenen und bedrohten Kinder und Frauen zu verbessern aber auch- die finanzielle Unabhängigkeit aller sich in Deutschland aufhaltenden betroffenen Frauen und Mädchen zu sichern. Denn wer diese Menschenrechtsverletzung wirksam bekämpfen will, muss vor allem dem niedrigen sozialen Status der betroffenen Frauen und ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit entgegenwirken – und zwar nicht nur "jenseits in Afrika" sondern ganz konkret hier und heute in Deutschland. In Berlin, München und anderswo. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.