Die Rede in Bild und Ton: 160908_Video_KT_EP10
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Als Linke habe ich ja viel Grund zur Kritik an der Großen Koalition und ihrer Politik. Wir leben zwar in einem reichen Land, trotzdem sind Kinder ein Armutsrisiko, trotzdem hängt der Bildungsabschluss vom sozialen Status der Familie ab, trotzdem konnte ich mich zwar in Estland, im tiefen Nationalpark, auf das Internet verlassen, aber eben nicht einmal überall in Berlin, trotzdem fährt in viele Dörfer nur noch ein Schulbus. Und dass ich in Lappland vor einigen Jahren einen besseren Handyempfang hatte als in meinem Dorf, 100 Kilometer von Berlin entfernt, lässt ebenfalls tief blicken. Deshalb verstehe ich, ehrlich gesagt, dass sich viele abgehängt und in ihren täglichen Problemen nicht wirklich ernstgenommen fühlen. Dies gilt übrigens auch für die Agrarpolitik der Koalition.
Viele Landwirtschaftsbetriebe kämpfen seit Monaten um ihre Existenz. Die Vorschläge der Linken zur Lösung der Krise liegen seit langem auf dem Tisch. Die Agrarbetriebe müssen endlich gegen die erpresserische Marktübermacht von Schlachthof-, Molkerei- und Handelskonzernen geschützt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Es kann doch nicht länger geduldet werden, dass sie nur das bekommen, was die Konzerne ihnen übrig lassen. Milchviehbetriebe dürfen doch keine Bittsteller sein, sondern müssen für ihre Arbeit anständig bezahlt werden.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Es ist doch absurd, wenn Milch abgeliefert werden muss, man aber nicht weiß, wie viel Geld man dafür bekommt.
(Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Das ist richtig!)
Bei der Milch ist es eben anders als bei VW, um das hier noch einmal klar zu sagen: Die Zulieferer können nicht einfach mit einem Lieferstopp ihre Interessen durchsetzen oder Kurzarbeitergeld beanspruchen. Deswegen brauchen sie unseren Schutz, und ich finde, erst recht, weil es hier um Lebensmittel geht, also unsere Lebensgrundlage.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Von daher habe ich sehr wohlwollend die Worte des Ministers gehört; aber wir werden Sie an Ihren Taten messen.
Auch bei der Bodenfrage geht es um die Existenz ortsansässiger Betriebe. Wir können doch nicht zulassen, dass Geldkapital durch die Lande zieht und die Existenz unserer ortsansässigen Betriebe infrage stellt, ihnen die Produktionsgrundlage entzieht, dass Makler wie Heuschrecken durch das Land ziehen, um die Verlierer eines Dumpingpreiswettbewerbes zum Schnäppchenpreis zu übernehmen.
(Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Eine Schande!)
Wenn landwirtschaftsfremde Investoren Kauf- und Pachtpreise so hoch treiben, dass sie mit landwirtschaftlicher Arbeit nicht mehr zu finanzieren sind,
(Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Eine Schande!)
dann können wir doch nicht einfach zuschauen.
Aber sogar der Bundesfinanzminister macht mit der Privatisierung ehemals volkseigener Flächen noch Kasse auf Kosten der einheimischen, ortsansässigen Betriebe. Der Aufstieg und der tiefe Fall der KTG Agrar, einer Agraraktiengesellschaft mit undurchsichtiger Struktur und 46 000 Hektar in Ostdeutschland und Litauen, ist doch nur ein Beispiel für eine katastrophale Agrarstrukturpolitik. Die Ländereien aus dieser Insolvenzmasse werden wohl wieder nur bei Investoren landen und eben nicht bei ortsansässigen Betrieben.
(Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist zu befürchten!)
Das bundeseigene Thünen-Institut hat festgestellt, dass zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern bereits ein Drittel der Landwirtschaftsbetriebe nicht mehr in ortsansässiger Hand ist.
(Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Eine Schande!)
Ich finde das, ehrlich gesagt, beunruhigend.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Übrigens brauchen wir bei einer investorengestützten Landwirtschaft auch nicht mehr über nachhaltige Landwirtschaft und über Tierschutz zu reden. Kostendeckende Erzeugerpreise werden eben auch gebraucht, um diese Probleme zu lösen. Wir brauchen dafür eine bundesweite Strategie; deshalb ist hier auch der Bundeslandwirtschaftsminister klar in der Pflicht.
Aber es geht längst auch um mehr als um Bodenpreise und Milchkrise. Aktuell wird kein landwirtschaftliches Produkt angemessen bezahlt. Selbst Roggen in Brotqualität bringt mehr Geld, wenn er nicht als Lebensmittel, sondern energetisch verwertet wird. Ich finde das echt pervers.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg. Ursula Schulte (SPD))
Aber anstatt die strukturellen Ursachen zu beseitigen, wird immer mehr Geld in ein falsches System gepumpt. Nur: Mehr Geld ohne richtige Politik liegt eben auch nicht im Interesse der Betroffenen. Auf die Agrarbetriebe verteilt, ist die hohe Gesamtsumme übrigens auch nur ein Tropfen Milch auf einen überhitzten Stein. Zum Beispiel spart ein mittlerer Milchviehbetrieb mit 100 Hektar und 80 Milchkühen durch den Bundeszuschuss gerade einmal Beiträge in Höhe von 600 Euro im Jahr für die Unfallpflichtversicherung. Ihm fehlen aber 10 Cent an jedem Liter Milch. Das entspricht einem Minus von 30 Prozent, Liter für Liter.
Ja, es gibt in der EU zusätzliche Liquiditätshilfen, die auch vom Bund aufgestockt werden. Aber es geht doch nicht, dass größere Betriebe, die Beschäftigte bezahlen müssen, gar nicht davon profitieren können. Das sind übrigens gerade in Ostdeutschland Betriebe in strukturschwachen Regionen, in denen diese Arbeitsplätze oft die letzten verbliebenen sind. Deswegen finde ich das nicht okay.
Es gibt noch mehr Problembereiche. Zum Beispiel ist die Weidetierhaltung die Verliererin der EU-Agrarpolitik, obwohl sie die höchste gesellschaftliche Akzeptanz hat und gerade Schafe und Ziegen für die Kulturlandschafts- und Deichpflege dringend gebraucht werden. Wir als Linke haben immer wieder mehr Unterstützung auch vom Bund gefordert, in Form einer Weidetierprämie und eines Herdenschutzkompetenzzentrums. Bisher verweigert dies leider die Koalition. Aber ich kann versprechen: Wir werden an dem Thema dranbleiben.
(Beifall bei der LINKEN)
Das gilt übrigens auch für dieses Thema: Klein- und Kleinstwaldbesitzer müssen ungerecht hohe Beiträge zur Unfallversicherung zahlen, während die Beiträge für Großwaldbesitzer auf niedrigem Niveau gedeckelt werden. Das finde ich als Linke nach wie vor inakzeptabel.
(Beifall bei der LINKEN)
Auch beim Thema Fischerei gibt es eine dringende Baustelle. Es wurden zwar strenge Bestimmungen zur Bekämpfung der illegalen Fischerei beschlossen; aber ohne ausreichendes Personal für die Kontrollen wird eben weiter illegal gefischt. Hier muss sich deswegen wirklich etwas ändern.
Als Linke haben wir die vielen Probleme immer wieder thematisiert. Aber die Menschen erwarten von uns, dass sie endlich gelöst werden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Die gesamte Debatte: 160908_Debatte_EP10