Die Deutsche Wildtierstiftung spricht aktuell von 60 Rudeln, 13 Paaren und drei territorialen Einzeltieren in Deutschland. Bundesweit ist das von einem günstigen Erhaltungszustand noch zu deutlich entfernt, um den Schutzstatus zu lockern. Mancher Wolfsdebatte fehlt die Verhältnismäßigkeit. Ja, für die einzelnen Weidetierhaltungen sind Wolfsübergriffe dramatische Ereignisse und das Zusammenleben mit dem Wolf muss neu erlernt werden. Aber die Probleme sind lösbar, wenn alle sie lösen wollen.
Und den Schäfereien zum Beispiel ging es auch lange vor der Rückkehr des Wolfes schlecht. Deshalb muss es eigentlich um die Zukunft eines ganzen Berufsstandes, dem das Wasser schon seit einiger Zeit bis zum Halse steht, gehen. Der Bundesverband der Berufsschäferinnen und -schäfer hat das gut in der Wolfsanhörung im Umweltausschuss des Bundestages am 18. April 2018 ausgedrückt. Mit dem Wasser bis zum Hals springt der Wolf den Schäferinnen und Schäfern nun noch auf den Kopf. Er ist „nur“ der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Das Problem ist, dass die Weidetierhaltungen, insbesondere von Schafen und Ziegen, die Verliererinnen der EU-Agrarpolitik spätestens seit 2005 sind. Sie werden weder für ihre naturnah und tierschutzgerecht erzeugten Produkte Fleisch und Wolle angemessen entlohnt noch für ihre Gemeinwohlleistungen beim Erhalt des Dauergrünlands, der Natur- und Kulturlandschaftspflege und dem Deichschutz.
Deshalb zahlen 22 EU-Mitgliedsstaaten eine Weidetierprämie als Unterstützung, Deutschland weigert sich bisher. Vollmundig sprechen Koalition und Bundesregierung davon, dass es solch eine Prämie gar nicht bräuchte, die Schäferinnen und Schäfer bekämen auch so genug Geld – über die Flächenprämie beispielsweise. Aber genau hier fängt das Dilemma für viele schafhaltende Betriebe schon an. Sie haben kaum eigene Flächen, sondern pachten hauptsächlich, zum Teil sogar von Pächterinnen und Pächtern. Durch steigende Bodenpreise steigt auch der Pachtpreis, die Schafsprodukte werden teurer erzeugt, lassen sich zu dem Preis aber schwer absetzen. Weil importiertes Schafsfleisch billiger ist oder stabile Lieferbeziehungen in Größenordnungen für Schäferinnen und Schäfer schwer zu halten sind.
Die Koalitionsfraktionen erkennen in ihrem aktuellen Antrag „Herausforderungen durch die Rückkehr des Wolfes bewältigen und den Schutz von Weidetieren durch ein bundesweit abgestimmtes Wolfsmanagement gewährleisten“ immerhin an, dass es den Wanderschäferinnen und -schäfern ganz besonders schlecht geht und hier eine bessere Unterstützung nötig ist. Allerdings sind diese nur ein Teil des Berufsstands, der aber insgesamt untergeht. Wandernde Schafshirtinnen und -hirten werden immer seltener, weil es immer weniger zusammenhängende Flächen gibt, die beweidet werden können – wie beispielsweise Pufferstreifen an Gewässern, Wäldern und Ackerschlägen. Oder weil diese Flächen nicht zur Verfügung gestellt werden. Die Schafe werden heute aufwendig auf Lastkraftwagen geladen und zum Weideort transportiert, dort per Elektrozaun eingefriedet, und nach getaner Arbeit weitergefahren. Aber auch diese Flächen werden immer weniger und eigene oder gepachtete Flächen sind gerade bei Wanderschäferinnen und -schäfern kaum vorhanden.
Wenn es dann noch Schafsverluste durch den Wolf gibt, ist das oft der endgültige Todesstoß für die Schäferinnen und Schäfer. Entschädigungen sind nicht bundeseinheitlich geregelt, mal gibt es mehr, mal weniger Geld. Hinzu kommt der bürokratische Aufwand – auch bei präventiven Herdenschutzmaßnahmen, die mal mehr, mal weniger gefördert werden.
Immerhin bekennt sich nach jahrelangen Auseinandersetzung die Koalition nun endlich in einem Antrag zur Mitverantwortung des Bundes für den Herdenschutz. Denn bisher wurden solche Forderungen der LINKEN immer mit dem Verweis abgelehnt, der Bund wäre nur für den Arten-, also den Wolfsschutz zuständig.
Aber statt einem Kompetenzzentrum Herdenschutz, das wir seit vielen Jahren fordern, will die Koalition leider nur eine Beratungsstelle für den Herdenschutz einrichten und mit den Ländern gemeinsame Managementpläne, insbesondere zur Harmonisierung von Schutzmaßnahmen erstellen. Für die LINKEN ist der Antrag ein Anfang wie auch das Wolfsberatungszentrum beim Bundesumweltministerium für uns immer nur ein Anfang war. Vielmehr brauchen wir eine einheitlich agierende Stelle, die sich um Wolf und Herdenschutz gemeinsam kompetent kümmert. Denn diese zwei Parameter gehören zwangsläufig zusammen. Und es braucht auch keine ledigliche Beratungs- und Informationsstelle, sondern ein Kompetenzzentrum, das Managementpläne mit erarbeitet und bundeseinheitliche Regelungen vorschlägt und betreut und eigene Forschungsaktivitäten leisten kann.
Die im Antrag in Aussicht gestellte Änderung der Tierschutz-Hundeverordnung für einen erleichterten Einsatz von Herdenschutzhunden haben wir lange gefordert und werden die Umsetzung kritisch begleiten. Insbesondere geht es hier darum, bei Herdenschutzhunden keine Schutzhütte vorzuschreiben, die gerade bei Wanderschäferinnen und -schäfern kaum leistbar, nicht notwendig und bei der Arbeit der Herdenschutzhunde eher hinderlich ist. Darüber hinaus soll die Regelung zur Haltung mit Elektrozäunen so gestaltet werden, dass eine Haltung von Herdenschutzhunden auf elektroumzäunten Weideflächen problemlos möglich ist.
Wir wollen nicht die Jagd auf den Wolf eröffnen, sondern die Schäferei gut und sicher unterstützen. Wir brauchen Schafe, die auf besonderen Standorten wie Heiden, Truppenübungsplätzen und Deichen weiden und eine Verbuschung aufhalten. Wir brauchen sie, um uns und der Natur eine Vielfalt an Lebensräumen zu erhalten, beispielsweise auch kohlenstoffspeichernde Moore. Und wir brauchen sie, um uns selbst zu schützen, indem sie Deiche und Retentionsflächen in hochwassergefährdeten Gebieten offen halten und dadurch die Nutzung zum Hochwasserschutz ermöglichen.
Dem Antrag der Koalition enthalten wir uns, weil zwar einiges ansatzweise auf den Weg gebracht wird, aber bei Weitem mehr zu tun ist. Im Oktober wird es endlich das von den LINKEN initiierte Fachgespräch zum Thema Herdenschutz geben – wir bleiben also am Thema dran.
Kirsten Tackmann