Mehr in Verantwortung und weniger in Hoffnung investieren – Digitalisierung in der Landwirtschaft
von Kirsten Tackmann
Die Hoffnung auf den universellen Heilsbringer „Digitalisierung“ macht natürlich auch vor dem Bereich Landwirtschaft nicht halt, die ja generell als technikaffiner Sektor gilt. Gerade hier ist die Hoffnung groß, dass technische Neuerung alle menschgemachten und systembedingten Probleme löst, ohne dass man das System ändern oder gar die Ursachen von Problemen beseitigen muss. Denn die Handlungsfelder, in denen dringender Verbesserungsbedarf besteht sind unzählig. Zum Beispiel kann mit hochauflösenden Satellitendaten Boden und Wetter analysiert werden für standortindividuelle und präzise Dünge- und Pflanzenmittelanwendungen oder Vermeidung von Bodenverdichtung durch minimierte Überfahrten mit Schleppern. Kranke Pflanzen können mit Fernerkundung oder automatisierte Algorithmen erkannt und treffsicher behandelt werden. Auch bei der Tierhaltung können automatisierte Analysen von Verhaltensmustern oder Datenanalysen Verbesserungen beim Tierwohl und der Leistung erreicht werden. Bürokratie und Verwaltungsaufwand können mit Farmmanagementsystemen vereinfacht, Kontrollergebnisse gebündelt werden. So das Idealbild des Digital Naives.
Diese Potenziale wurden auch im öffentlichen Fachgespräch des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft „Chancen und Risiken der Digitalisierung in der Landwirtschaft“ deutlich benannt. Und in einem kooperativen, auf das Gemeinwohl orientierten Wirtschaftsmodell wären viele Möglichkeiten der Digitalisierung sicher auch zum Vorteil der Gesellschaft nutzbar. Aber nicht nur NGOs warnen gleichzeitig vor fatalen Folgen die nahezu ungehemmte und leider auch ungezügelte Datengier der Konzerne sowie die Beschleunigung der Monopolisierung infolge der Digitalisierung im Kapitalismus. Facebook, Google, Apple, Amazon und Microsoft schlucken branchenübergreifend Start-Ups und kleinere Firmen, um die wertvolle Ressource Wissen und Daten exklusiv zu nutzen. Betriebliche Daten aus der Landwirtschaft oder über die Ernährungsweise sind für Konzerne von besonderem Wert, weil sie einerseits einen direkten oder verschleierten Eingriff auf die Ernährungssouveränität ermöglichen, andererseits ihre Marktmacht stärkt – beides hat Erpressungspotenzial gegenüber Politik und Gesetzgebung. Andererseits benötigt jede Analyse eine kritische Masse von Daten, sollen die abgeleiteten Algorithmen treffsicher gestaltet werden, z. B. für die Empfehlung bestimmter Aussaatzeiträume oder die sachgerechte Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. Das stellt also auch die Grundsatzfrage, wo Dateneigentum endet und Daten zur Ware werden.
Sowohl Tech-Unternehmen als auch Landtechnikhersteller und Chemie- und Saatgutkonzerne investieren massiv in den Sektor Landwirtschaft 4.0 und ihr Schritttempo ist deutlich höher als die politischen Entscheidungsprozesse darüber, wo und wie reguliert werden muss um gesellschaftliche und individuelle Rechte zu sichern. Selbst über den Prozess selbst weiß man viel zu wenig. So ist die Datenmonopolisierung bei kartellrechtlichen Prüfungen bislang kein relevanter Punkt, Datensouveränität ist gerade erstmalig vom Kartellamt beispielgebend gegenüber Facebook geltend gemacht worden. Entsprechend hinkt die Gesetzgebung hinterher, auch was Datenhoheit und ihre Kontrolle anbelangt. Datensicherheit wird nach wie vor eher als persönliche Verantwortung gesehen, stattdessen müsste der Staat hier deutlich mehr Verantwortung übernehmen.
In der Nische der Ungewissheit florieren daher viele hoffnungsvoll klingende digitale Versprechungen, während nachweisbare Verbesserungen bislang oft ausbleiben, von der Ressourcenbilanz und energetischen Reboundeffekten mal ganz abgesehen. Bislang gibt es keine Evidenz für wirkliche Fortschritte hinsichtlich Nachhaltigkeit durch Landwirtschaft 4.0. Der Mehrwert ist bislang am konkretesten bezüglich Zeitgewinn für den Betriebsleiter durch eine übersichtlichere Gestaltung der Betriebsabläufe zu erwarten.
Auch die Förderung ist bislang sehr stark an Konzernprofiten interessiert. DIE LINKE will dagegen vor allem die Förderung der Digitalisierung im Gemeinwohlinteresse und jenseits von Konzerninteressen, z. B. Minimierung des Einsatzes von Pflanzenschutz, Vernetzung von regionalen Verarbeitern und Vermarktern, Förderung kooperativer Wirtschaftsstrukturen, z. B. Genossenschaften.
Viel mehr Beachtung finden muss auch die ressourcenintensive Nutzung seltener Rohstoffe bei der Produktion dieser Technologien plus der hohe Stromverbrauch, der z. B. auch bei Kryptowährungen bereits ein beunruhigendes Maß annimmt.
Eine Basis, die von erstaunlicher fraktionsübergreifender Breite in der Anhörung getragen wurde ist neben dem überfälligen Breitbandausbau und die Standardisierung von Schnittstellen auch die Verfügbarkeit von Daten über Opensource und des Wissens über OpenData und OpenScience zur Sicherung der Teilhabe von Wissenschaft und Gesellschaft.