„K. O. den Tierfabriken!“ heißt die aktuelle Kampagne des BUND. Man kann trefflich darüber streiten, was „Tierfabriken“ sind und welchen Beitrag solche Skandalisierungen zur Problemlösung leisten können.
Für DIE LINKE sind aber zwei Dinge viel entscheidender: Erstens anzuerkennen, dass es in Teilen der Nutztierhaltung Gesundheitsprobleme gibt. Und zweitens, dass wir sie nur lösen, wenn wir ihre Ursachen und die Verbesserung des Tierwohls in den Mittelpunkt der Debatte rücken. Es muss vor allem um die Qualität der Nutztierhaltung gehen. Das ist weit mehr als nur ein Zählappell im Stall. Oder sind 30.000 Legehennen an einem Standort schon deshalb keine Tierfabrik, weil dort Bio-Eier produziert werden?
Als Gesetzgeber tragen wir dabei eine doppelte Verantwortung. Wir müssen die Interessen der Konsumentinnen und Konsumenten berücksichtigen, die gesunde und bezahlbare Lebensmittel wollen. Gleichzeitig will die Gesellschaft völlig zu Recht eine Tierhaltung, die tierwohlgerecht ist und die natürlichen Lebensbedingungen nicht unnötig belastet. Zumindest bezüglich der Produktionskosten ist das ein gewisser Interessenskonflikt, solange die Kosten zum Beispiel durch Umweltbelastungen nicht in die Erzeugungskosten eingerechnet sondern von der Gesellschaft getragen werden.
Ohne soziale und ökologische Marktregeln steigt der Druck „möglichst billig“ zu produzieren, also möglichst viel und möglichst schnell auf derselben Fläche. Beschleunigt wird diese Entwicklung durch den Trend zur gewerblichen Nutztierhaltung, denn das trennt sie nicht nur von der Landbewirtschaftung, sondern entfremdet sie von landwirtschaftlichen Grundlagen. Multifunktionale Betriebe mit Tier- und Pflanzenproduktion werden immer seltener und weichen einer Agrarstruktur, in der die einen nur noch Marktfrüchte anbauen und die Tierproduktion als Lohnarbeit für Lebensmittelkonzerne stattfindet. Das halte ich für hochproblematisch und betrifft nicht nur die konventionelle Landwirtschaft, sondern zunehmend auch den Ökolandbau.
Wenn die Agrarwirtschaft nicht mehr zuallererst als Versorger für das öffentliche Gut Ernährungssicherung verstanden wird, sondern nur noch als Rohstofflieferant für die Weiterverarbeitung, hat das schwerwiegende Folgen. Denn das entfremdet sie von den natürlichen Produktionsgrundlagen und von den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Unter diesen Rahmenbedingungen erscheint es einfacher, drohende oder bestehende Bestandserkrankungen systematisch mit Antibiotika zu bekämpfen statt ihre Ursachen zu suchen und zu beseitigen. Das ist das eigentliche Problem, dass hinter der Zahl von über 1.700 Tonnen Antibiotika steht, die 2011 in deutschen Nutztierbeständen angewandt wurden. Auch wenn die Zahl selbst noch nicht viel sagt zum Ausmaß des Problems, ist unstrittig, dass sie für einen teilweise systematischen Missbrauch spricht. Denn Antibiotika sind sowohl in der Human- als auch in der Tiermedizin so wertvoll, dass sie nur im unvermeidlichen Notfall eingesetzt werden dürfen. 1.700 Tonnen Antibiotika sprechen eine andere Sprache. Es ist doch nicht hinnehmbar, wenn 2011 neun von zehn Masthühnern in NRW in ihrem sehr kurzen Leben mit Antibiotika behandelt wurden. Die Untersuchungen aus NRW und Niedersachsen erhärteten den Verdacht, dass Antibiotika zu oft und regelwidrig verabreicht werden, z. B. zur Verhütung von Infektionen, zur ungezielten Steigerung der Tiergesundheit oder auf Verdacht. Das ist unverantwortlich. Stattdessen müssen die Ursachen von erhöhten Infektionsrisiken beseitigt werden. Dazu zählen Mängel beim Stallklima, bei der Stallhygiene, bei der Bestandsbetreuung oder zu große Tierdichten im Stall oder in der Region. Dazu gehört aber auch mangelndes Wissen über so genannte Faktorenkrankheiten, die neben den klassischen Infektionskrankheiten zunehmend zur wirtschaftlichen Bedrohung in der Tierhaltung werden. Unter anderem deshalb fordere ich schon lange ein Epidemiologisches Zentrum, weil diese Fragestellungen eine andere wissenschaftliche Herausforderung sind als die Grundlagenforschung an den klassischen Tierseuchen, die im FLI Schwerpunkt ist.
Aber auch der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber muss dringend handeln. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein erster, aber viel zu zaghafter Schritt. Den Missbrauch durch eine Datenbank besser zu lokalisieren, reduziert ihn noch nicht. Erst Recht, wenn die Entdeckung so wenig verbindliche Konsequenzen hat.
Die Stellungnahme des Bundesrates weißt auf Defizite des Gesetzentwurfs hin und schlägt vernünftige Verbesserungen vor, z. B. die Berücksichtigung der Antibiotika-Leitlinien der Bundestierärztekammer oder die Dokumentation der verabreichten Tagesdosis statt nur der Arzneimittelmenge in der bundesweiten Datenbank. Noch besser hätte es der Novelle getan, wenn noch mehr Vorschläge meiner Fraktion DIE LINKE berücksichtigt worden wären. Unser Antrag liegt ja bereits seit Januar 2012 auf dem Tisch (Bundestagsdrucksache 17/8348).
Dazu ein paar Beispiele.
1. Exzessive und unsachgemäße Antibiotika-Anwendungen sind auch deshalb ein Problem, weil sie das Resistenzrisiko erhöhen. Durch Resistenzen wird die Wirksamkeit der Antibiotika reduziert. Das ist insbesondere bei den Wirkstoffen gefährlich, die bei Menschen und Tieren verwendet werden. Deshalb fordern wir, dass Humanantibiotika nicht in Tierställen eingesetzt werden.
2. Eine integrierte veterinärmedizinische Bestandsbetreuung kann zu wesentlich gesünderen Tieren beitragen. Die Tierärzteschaft muss als Verbündete der Tierhalterinnen und Tierhalter sowie der staatlichen Behörden gestärkt werden. Tierärztinnen und Tierärzte wissen, wie Infektionskrankheiten vermieden werden können. Allerdings muss ihre epidemiologische Aus- und Fortbildung gestärkt werden und die berufsständischen Vertretungen müssen konsequent gegen schwarze Schafe in der Tierärzteschaft vorgehen.
3. Die geplante Beschränkung der bestandsgenauen Dokumentation der Antibiotika-Anwendungen auf den Mastbereich ist unsinnig.
4. Die Dokumentation allein ist noch kein Fortschritt, sondern muss zu einer umfassenden Problemanalyse und daraus abgeleiteten effektiven und verbindlichen Kontroll- und Vollzugsmaßnahmen führen. Ziel muss eine risikoorientierte Überwachung als Frühwarnsystem für Bestandserkrankungen bei Nutztieren sein.
5. DIE LINKE fordert eine tierwohlorientierte Neubewertung aller Haltungssysteme. Maximale Besatzdichten sollten bezogen auf Stallanlagen, Tierhaltungsstandorte und Regionen im Ergebnis einer epidemiologischen Bewertung der Infektionsrisiken geregelt werden.
6. Die für Beratung und Überwachung zuständigen Behörden müssen pro aktiv agieren und ihre Vollzugsmöglichkeiten deutlich verbessert werden.
7. Es wird qualifiziertes Betreuungspersonal in der Tierhaltung gebraucht. Das muss muss mindestens per Sachkundenachweis belegt werden.
All dies werden wir in der Anhörung am 28. November diskutieren müssen. Leider bleibt nur wenig Zeit zur Debatte. Nachdem sich seitens der Koalition monatelang nichts getan hat, soll nun der Gesetzentwurf durchs Parlament gepeitscht werden. Anscheinend will Schwarz-Gelb die Antibiotika-Debatte zur Grünen Woche 2013 vom Tisch haben. Aber das wird nicht gelingen, denn es ist bereits wieder eine große agrarpolitische Demo unter dem Motto „Wir haben es satt“ in Berlin angekündigt. Und das Motto bezieht sich sicher nicht nur auf die Agrarpolitik, sondern Schwarz-Gelb insgesamt.
Anhang: 121108_debatte_antibiotika_.pdf