Berlin, im Juni 2009
Sehr geehrte Damen und Herren,
herzlichen Dank für Ihren Aufruf an die Politik, die Milchviehhaltung in Deutschland zu unterstützen. Die Dramatik in der Milchpreisentwicklung war leider absehbar und politische Entscheidungen in Brüssel und Berlin haben sie weiter verschärft. Zu Recht wird europaweit dagegen protestiert.
Um es deutlich zu sagen: Es waren politische Entscheidungen, die dafür mitverantwortlich sind, dass sich die aktuellen Rahmenbedingungen für viele Milchviehbetriebe dramatisch verschlechtert haben. Dieselben Rahmenbedingungen bringen auch andere landwirtschaftliche Produktionszweige erheblich unter Druck, weil keine kostendeckenden Preise mehr erzielt werden können.
Die europaweite Erhöhung der Milchquoten hat dazu beigetragen, dass die Unterschiede zwischen Angebotsmenge und Nachfrage noch größer werden – ob nun in der Realität oder als politisches Signal. Der "Erfolg" aus Sicht der EU – Kommission ist eingetreten: Die Preise für Milchquoten stürzen ab. De facto läuft das auf eine kalte Enteignung hinaus. Zunehmend werden Landwirtschaftsbetriebe zum Aufgeben der Milchviehhaltung genötigt. Statt der immer wieder angekündigten "sanften Landung" zur Abschaffung des Quotensystems ist das eine "Bruch-Landung", bei der viele ihre Existenz verlieren werden.
Die Argumente für die Sicherung der Milchproduktion in allen Regionen wie der Erhalt eines sehr wichtigen Elements der Kulturlandschaft oder hunderttausender Arbeitsplätze oder der Grünlandnutzung spielen für die EU – Kommission und die sie stützenden politischen Mehrheiten keine Rolle, denn für sie gibt es vor allem ein Ziel: der Weltagrarmarkt, auf den sich die einheimischen Betriebe ausrichten sollen, obwohl sich gerade zeigt, dass er hochspekulativ und damit hochriskant ist und ökologische oder soziale Leistungen im Interesse der gesamten Gesellschaft nicht berücksichtigt.
Die AgrarministerInnen der Mitgliedsländer und auch der Bundesländer haben mit großer Mehrheit für eine Umsetzung der EU – Beschlüsse gestimmt. Die Bundesregierung hat zwar zunächst Widerstand gegen die Quotenerhöhung geleistet, dann aber mögliche Kompensationsmaßnahmen abgelehnt, mit denen die zusätzliche Milchmenge nicht oder nicht vollständig auf den Markt gelangt wäre, wie zum Beispiel die Abschaffung der (Molkerei-)Saldierung oder die Übergabe in die "nationale Reserve". Alle Vorschläge zur Milchmengenbegrenzung auf der Erzeugerseite wurden ignoriert.
Die Milch-Exportstrategie der Bundesregierung ist der einzige – und aus unserer Sicht untaugliche – Lösungsvorschlag seitens der Bundesregierung, der sich mit dem Angebot-Nachfrage-Problem bei der Milch auseinandersetzt. Schon jetzt ist klar, dass diese Strategie nicht funktionieren kann. Im Wettbewerb um die billigsten Produktionsbedingungen können die Bäuerinnen und Bauern in Deutschland und Europa nicht mithalten.
Auch Milch-Exportsubventionen sind keine Lösung, im Gegenteil: sie fördern den Dum-pingwettbewerb und bedrohen die Existenzen landwirtschaftlicher Betriebe in vielen anderen Teilen der Welt. Durch die Regeln eines freien Marktes der Welthandelsorganisation (WTO) und der Europäischen Kommission werden zehntausende, europaweit hunderttausende Existenzen bedroht und damit hunderttausende Arbeitsplätze. Das schadet in vielen Regionen der Entwicklung der ländlichen Räume. Diese Agrarpolitik lehnt die LINKE ab.
Wir unterstützen alle Forderungen die zu gerechten Erzeugerpreisen beitragen. Ein nachfrageorientiertes Mengensteuerungssystem, kann dabei helfen, dürfte aber nur auf europäischer Ebene erreichbar sein. Hier müssen gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die einem politischen Ziel dienen: wie beim Wein gehört die Milch zu einem Kulturgut, dass prägenden Charakter für viele Regionen hat und das dazu beiträgt, viele soziale und ökologische Leistungen im Interesse der gesamten Gesellschaft zu erbringen. Deshalb macht eine flächendeckende Milcherzeugung mit Rückkopplung auf die Nachfrage Sinn. Die erpresserische Position von Lebensmitteleinzelhandel und Molkereien gegenüber den Erzeugerbetrieben muss durch die (kar-tell)rechtliche Stärkung der Rechte der Milcherzeuger beendet werden!
Die LINKE setzt sich für einen agrarpolitischen Richtungswechsel ein. Weg vom unregulierten, auf Dumpingpreise orientierten Weltagrarmarkt, hin zu einer Stabilisierung der regionalen Märkte mit kostendeckenden Erzeugerpreisen. Wir brauchen aus sozialen und ökologischen Gründen die Milchproduktion in den Regionen. Dazu wird dringend mehr Wertschöpfung durch Verarbeitung und Veredelung gebraucht – am besten in den Regionen selbst – sowie neue Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen.
Für DIE LINKE ist klar: Auch eine Milcherzeugerin oder ein Milcherzeuger muss von der Arbeit leben können!
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Kirsten Tackmann, MdB
Sprecherin Verbraucherschutz und Landwirtschaft der Bundestagsfraktion DIE LINKE.