Immer mehr Menschen verlassen ihre Dörfer und kehren dem ländlichen Raum den Rücken. Es fehlt an vielem: Arbeitsplätze, von denen man leben kann, lebendige Dörfer mit Bäcker, Kneipe, Sparkasse und Tante-Emma-Laden. Busse, die nicht nur zwei Mal am Tag verkehren – morgens Schülerinnen und Schüler mitnehmen und abends wieder ausspucken. Die in den Ferien gar nicht fahren. Wer nicht automobil ist, hat kaum Bewegungsspielraum. Die mobil sind, ziehen weg. Vor allem junge Frauen verlassen das Dorf auf der Suche nach Alternativen – und das sind vorrangig, aber nicht nur existenzsichernde Arbeitsplätze oder Kinderbetreuung.
Die Abwanderung, so sehr sie als individuelle Lösung nachvollziehbar ist, setzt eine Spirale in Gang, die die Probleme verschärft. Sowohl am Ort, der verlassen wird, als auch am Ort der Zuwanderung, weil dann dort Kitaplätze oder bezahlbarer Wohnraum knapp werden. Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zur Gleichstellung in ländlichen Räumen zeigt, dass das Problem bekannt ist. Sie hat aber weder Ideen noch Konzepte zur Lösung. Konzeptions- und hilflos schaut sie den fortziehenden Frauen hinterher. Die „Förderungsgrundsätze des GAK-Rahmenplans (enthalten) keine auf den Ausgleich von etwaigen Defiziten der tatsächlichen Gleichstellung gerichteten differenzierten Fördertatbestände oder Fördervoraussetzungen.“ (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage 17/2799 „Gleichstellung in ländlichen Räumen – Situation von Frauen und Mädchen in kleinen Städten und Dörfern“) Das bedeutet im Klartext: Obwohl Frauen in ungleichen Lebensverhältnissen leben und benachteiligt werden, werden sie genauso wie die Männer behandelt. Das ist ein systematischer Fehler, denn es wird Ungleichbehandlung gebraucht, wenn Gleichstellungspolitik wirklich ernst gemeint wird. Also eine geschlechtergerechte Förderung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume. Dazu könnte eine Gleichstellungsbeauftragte in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Verteilung der Gelder aus der Gemeinschaftsaufgabe Agrarpolitik und Küstenschutz (GAK) beitragen. Oder ein bestimmter Anteil der GAK-Mittel könnte für Frauenprojekte reserviert werden.
Die Grünen haben nun einen Antrag zum ländlichen Raum vorgelegt. Da könnte man meinen, sie würden sich genau diesem Aspekt widmen, doch: Fehlanzeige! Sie sind hinsichtlich Gleichstellungspolitik im Dorf genauso blind wie die schwarz-gelbe Bundesregierung. Richtig ist, dass die GAK das zentrale Instrument zur gezielten Unterstützung der ländlichen Räume und gegen die Abwanderung ist. Neben den Fördermitteln aus Brüssel sind die Gelder der GAK wichtige Quelle für die strukturschwachen Regionen. Die Debatte zur EU-Agrarpolitik für die Förderperiode 2014 bis 2020 muss deshalb auch Anlass für einen Geschlechtergerechtigkeitscheck sein. Hierbei gehört die GAK, mit der die Brüssel-Gelder kofinanziert und die Brüssel-Vorgaben umgesetzt werden, ebenso auf den Prüfstand.
Die Grundidee der Grünen, die GAK zu einer „Gemeinschaftsaufgabe für die ländliche Entwicklung und den Küstenschutz“ umzubauen, ist grundsätzlich richtig. Die landwirtschaftlichen Betriebe, Gärtnereien oder Forsteinrichtungen sind wichtige Säulen der ländlichen Wirtschaft. Sie gilt es weiter zu stärken. Aber sie sind nur eine Säule. Ländliche Räume sind mehr als Landwirtschaft – ländliche Wirtschaft mehr als Ackerbau, Viehzucht oder Gartenarbeit. Gerade für junge Frauen können in Klein- und Kleinstbetrieben mögliche Einkommens-Alternativen geboten werden. Voraussetzung ist aber zum Beispiel der Anschluss des Dorfes ans schnelle Internet. Hier gibt es Fortschritte, aber es bleibt noch genug zu tun.
Doch der Antrag der Grünen ist nicht nur auf dem gleichstellungspolitischen Auge blind. Auch umweltpolitisch befinden sich die Grünen auf dem Holzweg. Sie machen eine einfache Rechnung auf: Kleinbauer gut, Biobauer gut – alle anderen nicht gut.Das stimmt so nicht! Diese Polarisierung schadet sogar diesen Betrieben, weil sie spaltet, wo gemeinsames Agieren sinnvoll ist. Die Grünen behaupten, nur diese Landwirtschaftsbetriebe seien den neuen Herausforderungen Klimaschutz, Biodiversität, Erneuerbare Energien und Wassermanagement gewachsen. Diese These ist absurd. Wir als LINKE wissen, dass alle Betriebe, egal ob groß oder klein, bio oder konventionell bewirtschaftet, ihren Beitrag leisten müssen und können, viele wollen es auch. Für das Klima verzichten sie auf Grünlandumnutzung in Ackerflächen oder sie bauen ihr Tierfutter selbst an. Für die biologische Vielfalt legen sie Feldgehölze, Lerchenfenster oder Blühstreifen an und sie nutzen seltene Tierrassen. Zur Unterstützung solcher Maßnahmen haben wir als LINKE ein Konzept der EU-Direktzahlungen vorgeschlagen mit dem konkrete gesellschaftliche Leistungen in den Bereichen Biodiversität und Klimaschutz zielgerichteter honoriert werden.
Ich möchte auch kurz erwähnen, was mir am Grünen Antrag gut gefällt. Die Forderung nach mehr Transparenz und politischer Mitbestimmung bei der Erstellung des GAK-Rahmenplans ist richtig. Die GAK-Fehler der vergangenen Jahre sind darauf zurückzuführen, dass die Pläne nicht öffentlich, sondern in Hinterzimmern politisch ausgehandelt wurden. Wenn die GAK zu einer Gemeinschaftsaufgabe für die ländlichen Räume werden soll, muss dies mit den relevanten Akteurs- und Interessensgruppen vor Ort abgestimmt werden. Nur wenn diese einbezogen sind, gibt es die Chance, die Situation in den Dörfern zu verbessern. Denn dann werden Projekte umgesetzt, weil sie vor Ort passen und benötigt werden und nicht nur, weil dafür eben Geld zur Verfügung steht.