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Die Äußerungen von Graf von Schwerin als Bundesvorsitzender der ARE deuten an, worum es vermutlich beim zusätzlichen Gedenkstein in Kyritz eigentlich geht. Das 20. Jahr des Vereinigungsvertrages scheint als geeigneter Anlass gesehen zu werden, endlich auch beim Thema Bodenreform, ostdeutsche Agrarstruktur und letztlich DDR-Geschichte eine konservative Interpretationshoheit herzustellen.

Der Vorschlag für den Spruch "Freie Bauern auf freier Scholle – nie wieder Vertreibung, Enteignung und Zwangskollektivierung" ist nur im Kontext LPG-Gründungen gemeint und schon deshalb geradezu anachronistisch in einer Situation, in der gerade bäuerliches Eigentum mit rasanter Geschwindigkeit von einem globalisierten Weltmarkt enteignet wird, weil immer mehr Betriebe den ruinösen Wettbewerb verlieren – auch in Europa und nicht nur die Milcherzeuger. Die FDP prophezeit gerade, dass 30.000 Betriebe in den nächsten 3 Jahren dem "Strukturwandel" zum Opfer fallen werden. Auch die LPG-Gründungen hatten mit einem Strukturwandel zu tun, der auf dem Weg zu einer leistungsfähigeren Landwirtschaft für notwendig gehalten wurde. Dabei bleibt aber im Gegensatz zu den aktuellen Vorgängen das Eigentum in einer Genossenschaft bestehen, wenn auch nicht das einzelbäuerliche. Man kann darüber diskutieren, ob dieser Weg richtig und erfolgreich war. Das wäre sogar spannend. Aber nur die eine Sichtweise in Stein meißeln zu wollen ist ahistorisch und polarisiert völlig unnötig. Erst Recht, wenn Kampfbegriffe aus dem Kalten Krieg verwendet werden. Leider passt dieser Vorschlag, ohne dass der Einreicher das selbst vielleicht beabsichtigt, in eine Strategie. Denn eigentlich will die ARE schon lange die Axt an einen Grundkonsens des Einigungsvertrages legen, der – im Gegensatz zu allen anderen Bereichen – die Agrarstruktur Ostdeutschlands nicht zerschlagen hat, die ja Ergebnis von Bodenreform und LPG-Gründungen ist. Sie will im Interesse der Alteigentümer schon lange eine Rückabwicklung der Bodenreform, durch die das Eigentum ja erst geschaffen wurde, das in die LPGn im Frühjahr 1960 eingebracht wurde. Dabei blendet die ARE konsequent aus, was nicht ins eigene Geschichtsbild passt. Zum Beispiel, dass die Bodenreform alliiertes Recht und Ergebnis eines verheerenden Krieges war, an dem viele Junker und Großgrundbesitzer nicht schuldlos waren und profitiert haben. Der eine zerstörte Agrarwirtschaft und damit eine hungernde Bevölkerung hinterließ und ein Heer von Flüchtlingsfamilien, die mit den Bodenreformflächen die Chance für einen Neuanfang bekamen. Man kann, in Anlehnung an Richard von Weizäcker, auch den 2. September 1945 (Tag der Verkündung der Bodenreform) eben nicht ohne den 30. Januar 1933 denken. Es gab 1990 gute Gründe, die Bodenreform nicht zu revidieren und auch nicht die Agrarstruktur im Ergebnis der LPG-Gründungen! Rumänien ist z. B. einen anderen Weg gegangen. Mit dem Ergebnis, dass es kurz vor dem EU-Beitritt 2 Millionen Bauernhöfe unter 2 ha Fläche gab, die kaum zum eigenen Überleben reichen. Dabei will ich ausdrücklich nicht ausblenden, dass bei der Umsetzung der Bodenreform in dieser Nachkriegsatmosphäre Fehler, auch schweres Unrecht begangen wurden. Auch die LPG-Gründungen sind differenziert zu bewerten. Sie waren eben auch Teil einer politischen Kampagne im Kalten Krieg und das Freiwilligkeitsprinzip wurde teilweise durch überzogenen Druck, ja auch Bedrohungen konterkariert. Leider, denn der Zweck heiligt eben nicht die Mittel. Dennoch haben sich für viele die Arbeits- und Lebensbedingungen in der LPG deutlich verbessert, weil z. B. die Arbeitsteilung gerade Frauen entlastete und gesetzlicher Urlaub vorher unbekannt war. Die scharfe Polemik einiger Funktionäre des Bauernbunds gegen die "Kolchosen", mit denen sie Nachfolgebetriebe der LPGn meinen, weisst leider auch auf eine fragwürdige Motivation dieses Vorschlags. Das ist hochriskant in einer Zeit, in der gemeinsames Handeln dringend erforderlich ist, weil viele ostdeutsche Agrarbetriebe – LPG-Nachfolger genauso wie einzelbäuerliche Familienbetriebe – existenziell bedroht sind. Mein Fazit: Wenn schon ein neuer Gedenkstein dann "Für die von Banken und Konzernen enteigneten oder gefesselten ‚freien‘ Bauern und die neuen Landlosen der Globalisierung".

Dr. Kirsten Tackmann, MdB DIE LINKE


Dieser Leserbrief wurde am 18.02.2010 in der MAZ (Kyritzer Tageblatt) abgedruckt.