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!! ACHTUNG!! DIESE SEITE WIRD NICHT MEHR AKTUALISIERT. Bitte wenden Sie sich mit Ihren Anliegen nach dem Ende des Mandats von Dr. Kirsten Tackmann am 26.10.2021 an die aktuelle Linksfraktion im Bundestag. Für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und konstruktive Kritik der vergangenen 16 Jahre möchten wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken.

Rede von Dr. Kirsten Tackmann zum Tagesordnungspunkt 21. Beratung Beschlussempfehlung zum Antrag SPD „Die Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik zum Erfolg führen“ und zum Antrag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Chancen der EU-Fischereireform 2013 nutzen und Gemeinsame Fischereipolitik grundlegend reformieren“ – Drs 17/3179,17/3209, 17/3957 –

©Rainer Sturm www.pixelio.de

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Bei der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) sind wir uns zwischen den Fraktionen im Bundestag in vielen grundsätzlichen Fragen einig. Wir wollen zum Beispiel gemeinsam, dass nicht mehr Fisch gefangen werden darf als im selben Zeitraum „nachwächst“. Das ist ja auch logisch und quasi die alte Försterregel zur nachhaltigen Bewirtschaftung des Waldes – übertragen auf das Meer.

DIE LINKE will eine sachliche Diskussion auf belastbarer wissenschaftlicher Grundlage.

Dazu gehört auf der einen Seite, dass wir bei allen Analysen und Entscheidungen berücksichtigen, dass die wissenschaftlichen Schätzungen der vorhandenen Fischbestände nicht genau genug, also nicht wirklich belastbar sind. Das Rostocker von Thünen-Institut für Ostseefischerei (vTI) spricht von 10 bis 20 Prozent Fehlerquote. Diese Ungenauigkeit kann aber dramatische Auswirkungen bei der jährlichen Fangquoten-Festsetzung haben. Deshalb muss die Fischereiforschung gestärkt werden, damit wir besser belastbare Grundlagen für die politischen Entscheidungen bekommen.

Das kann auch zur Versachlichung der Debatte beitragen. Und das ist dringend notwendig. Es geht dabei nicht um Verharmlosung einer Situation, die im Grünbuch der EU erstaunlich deutlich und ehrlich beschrieben wurde. Aber die Situation vieler Fischbestände ist beunruhigend genug und muss nicht auch noch zusätzlich mit Horrormeldungen dramatisiert werden. Die Schreckenszahl 88% geistert immer wieder durch politische Debatten und Mailing-Aktionen. Aber 88% überfischte Bestände heißt eben nicht 88% fast ausgerottete Bestände! Sondern: 88% der Fischbestände, über die wissenschaftliche Erhebungen vorliegen, werden zu stark befischt. Also mehr, als nach dem höchstmöglichen, nachhaltigen Dauerertrag (MSY) entnommen werden dürften. Das ist problematisch genug. Aber nur bei ca. einem Viertel liegen solche Daten überhaupt vor. Solche überzogenen Dramatisierungen lenken leider von wirklichen Problemen ab. Das drohende Aussterben des europäischen Aals wird zum Beispiel kaum wahrgenommen, wie Dr. Christoph Zimmermann vom von Thünen-Institut in der Ausgabe 1/2010 der Fachzeitschrift „kutter“ beklagt hat.

Bei allen unbestrittenen Problemen in der Fischerei sieht DIE LINKE aber nicht nur ihre ökologischen Rahmenbedingungen, sondern konsequent auch ihre soziale und wirtschaftliche Funktion. Deshalb dürfen die notwendigen Fangreduzierungen nicht auf Kosten der in der Fischerei Beschäftigten gehen. Quotenkürzungen können zu Arbeitsplatzverlusten führen und haben damit erhebliche Auswirkungen auf das Leben und Arbeiten an der Küste. In den Küstenregionen lebt fast die Hälfte der europäischen Bevölkerung, wie Kommissarin Maria Damanaki heute bei einer Veranstaltung in Berlin betont hat. Auch in der Fischerei heißt nachhaltig nicht nur ökologisch, sondern auch sozial und ökonomisch denken. Das wissen auch die Fischerinnen und Fischer. Denn ihre Altersvorsorge sind die Fischbestände. Deshalb treten sie dafür ein, dass Umwelt- und Fischereipolitik nicht gegeneinander ausgespielt werden. Und deshalb müssen Fischereibetriebe und die Beschäftigten in alle Entscheidungen einbezogen werden. Und in den Küstenregionen müssen alternative Einkommensmöglichkeiten gezielt gefördert werden, um den Strukturwandel sozial abzufedern.

Ich möchte noch kurz auf einige Aspekte der aktuellen EU-weiten Debatte eingehen: Sicher muss die EU-Fischerei-Flotte abgebaut werden. Aber die deutsche Fischerei hat hier ihre Hausaufgaben bereits erledigt. Deshalb erwartet sie aber auch zu Recht, dass zum Beispiel gegen die illegale Fischerei noch konsequenter vorgegangen wird. Hier wurde schon einiges erreicht, aber es liegt auch noch vieles im Argen.

DIE LINKE will weg vom alljährlichen politischen Kuhhandel um Fischereitage, Fangquoten und dem Streit über die Entwicklung der Fischbestände. Wir wollen stattdessen eine mehrjährige Planung der Bewirtschaftung der Fischbestände. In diesem Fall würden sich auch mögliche Schätzfehler der tatsächlichen Fischbestände nicht so schwerwiegend auswirken.

Mehrjahrespläne wären auch im Interesse der jungen Menschen. Denn wir haben auch in der Fischerei Nachwuchsprobleme. Zu den Gründen gehört neben der Unberechenbarkeit der Fischereipolitik auch die skandalisierte Berichterstattung über ausgeräumte Meere. Wer soll da eine berufliche Perspektive für sich sehen?

Dabei ist sich die Forschung nahezu einig: durch die Fischerei wird kein Bestand und keine Fischart aussterben. Durch eine verfehlte Wirtschafts-, Energie- und Umweltpolitik schon eher.

Die jetzt anstehende Reform der Gemeinsamen Fischerei-Politik muss deshalb einen Neuansatz finden. Wir unterstützen EU-Kommissarin Maria Damanaki, die mehr Langfristigkeit, weniger Bürokratie und effektivere Kontrollen will. Über manche Details muss sicher noch diskutiert werden. Kontroll-Kameras an Bord z. B. sind eine recht drastische Maßnahme. Hier habe ich ein etwas mulmiges Orwell´sches Gefühl. Aber Video-Belege sind andererseits eine verlässliche Dokumentation mit vergleichsweise geringem bürokratischem Aufwand.

Ganz klar will DIE LINKE ein Verbot von Rückwürfen des Beifangs mit Anrechnung auf die Fangquote. Norwegen macht uns das vor. Wir sehen das wie die EU-Kommissarin: Rückwürfe sind unethisch, Ressourcenverschwendung und Vergeudung von menschlicher Arbeit. In der Fragestunde am Mittwoch hat mir die Bundesregierung Rückwurfzahlen aus Deutschland vorgelegt, die nachdenklich machen müssen. Die höchsten Rückwurfraten gibt es bei der Baumkurrenfischerei auf Scholle und Seezunge. In den Jahren 2008 bis 2010 wurden zwischen 60 und 75% des Fangs als Abfall wieder über Bord gekippt. Das muss aufhören! Wir müssen schrittweise, aber konseuqent von den Rückwürfen wegkommen. Die Rückwurfraten in der pelagischen Fischerei, z. B. Heringsfischerei, sind bereits unter 1%, auch die Deutsche Fischerei auf Kabeljau und Seelachs ist sehr vorbildlich, wie mir die Bundesregierung bestätigt hat. Von einem zukünftigen Rückwurf-Verbot sollten als Ausnahme nur Arten mit einer sehr hohen Überlebenswahrscheinlichkeit wieder ins Meer geworfen werden dürfen. Bleiben sie im Ozean zurück, können sie weiter wachsen und sich fortpflanzen und damit zu stabilen Beständen beitragen.

Wir kritisieren die oftmals fragwürdigen internationalen Fischereiabkommen mit Nicht-EU-Staaten und fordern ein globales Netzwerk von Meeresschutzgebieten. Bei der Ausweisung der Meeresschutzgebiete tragen die Mitgliedstaaten eine hohe Verantwortung, die Koordination in Europa erwarte ich jedoch von der EU bzw. weltweit von der UNO.

Für DIE LINKE ist der SPD-Antrag nicht grün genug und der grüne Antrag nicht rot genug. Im Grünen Antrag werden die Konsequenzen aus ihrer "grundlegenden Reform" einfach ausgeblendet. Aber insbesondere in der Küstenfischerei geht es um viele Menschen, die ihre Erwerbsarbeit verlieren. Mehr Kontrollen, zusätzliche Gebühren und Abgaben, das mag zwar eine grundlegende Reform sein, aber ob damit die Fischerei auf einen zukunftsfähigen Weg gebracht werden kann, wage ich zu bezweifeln. Richtig ist, dass das Grünbuch gezeigt hat, dass sich wirklich etwas tun muss. Diese Forderung unterstützen wir ausdrücklich. Aber es muss mit ökologischer und sozialer Verantwortung gehandelt werden. Der SPD-Antrag geht vage Schritte in die richtige Richtung, darum stimmen wir zu. Der grüne Antrag ist aus unserer Sicht zu radikal, aber mit grundsätzlich diskussionswürdigen Vorschlägen, daher enthalten wir uns.

Anhang: 110317_debatte_gem_fischereipolitik_zu_p.pdf