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25.11. 2019 Interview im Neuen Deutschland.

Kirsten Tackmann über die aktuellen Bauernproteste und strukturelle Probleme in der Landwirtschaft

Am Dienstag wollen Bäuerinnen und Bauern aus der ganzen Republik am Brandenburger Tor protestieren. Auf einer Sternfahrt haben sich zu Wochenbeginn laut Angaben der Bewegung »Land schafft Verbindung« rund 1000 Landwirte aus Süddeutschland auf den Weg nach Berlin gemacht, knapp 700 kämen aus Norddeutschland. Erwartet werden rund 5000 Traktoren und 10 000 Teilnehmende. Die Bauern kritisieren vor allem das Agrarpaket der Bundesregierung und das geplante Insektenschutzprogramm und fordern eine Anerkennung ihrer gesellschaftlichen Leistungen. Zuvor hatten Landwirte bereits in Hamburg anlässlich der Umweltministerkonferenz der Länder demonstriert.

Seit Montag sind aus ganz Deutschland Bäuerinnen und Bauern unterwegs Richtung Berlin. Bei vielen ist die Stimmung schlecht. Wie bewerten Sie die Lage der Betriebe?

Dort hat sich die Situation in den vergangenen Jahren durch die Agrarpolitik tatsächlich verschlechtert. In der Folge ist auch die gesellschaftliche Stimmung schlechter. Nur sind die Ursachen bei den jetzigen Protesten zu ungenau adressiert. Meine Wahrnehmung ist, dass in der Landwirtschaft möglichst billige Waren produziert werden sollen und damit wurde dieses System politisch in die Sackgasse gefahren. Leider geht es zu wenig um die sozialen Folgen in den Betrieben. Diese Kritik der Landwirte teile ich. Das darf nur keine Ausrede sein für die Dinge, die geändert werden müssen.

Die da wären?

Wir haben real negative Auswirkungen dieses falschen Agrarmodells: Trinkwassergefährdung, Verlust biologischer Vielfalt und Defizite beim Tierwohl sind einige davon. Aber wir müssen die Dinge so ändern, dass die Agrarbetriebe das betriebswirtschaftlich überleben.

Die Protestler fordern, mit den Bauern zu sprechen statt über sie. Dabei hat der Bauernverband, der ja für viele Landwirte spricht, durchaus einen kurzen Draht ins Regierungsviertel. Trägt auch er Verantwortung für die aktuelle Situation?

Beim Bauernverband stand in den ganzen Jahren die Warenerzeugung im Vordergrund, eben möglichst billig und exportorientiert. Die soziale Frage auf den Höfen wurde ignoriert. Und gerade die Düngemittelverordnung ist ein Beispiel, wie durch die Lobbyarbeit des Bauernverbandes eine sozialverträgliche Umsetzung jahrelang ausgesessen wurde, statt nach einer Lösung zu suchen. Aber ich weiß nicht, ob der Deutsche Bauernverband die Bäuerinnen und Bauern überhaupt noch in ganzer Breite vertritt.

Die Bundesregierung will zu einem weiteren Agrargipfel einladen. Ein Schritt in die richtige Richtung?

Das ist längst überfällig, nur kommt es ja darauf an, worüber dann geredet wird. Es nutzt nichts, die Probleme weiter auszusitzen wie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten. Ich verstehe, dass die Betriebe hohe Belastungen vor sich sehen und ohnehin nicht wissen, wie es weitergeht, weil es keine klare Linie gibt, was eigentlich die Anforderungen an die Landwirtschaft sind. Gleichzeitig werden sie z. B. vor der Bodenspekulation nicht geschützt. Das bringt Unsicherheit, darf aber keine Ausrede sein, die Probleme tatsächlich zu lösen.

Was müsste denn getan werden?

Zuallererst müsste man über Erzeugerpreise reden und darüber, wie diese die realen Kosten abbilden. Dazu gehört die Finanzierung von Maßnahmen gegen die Gefährdung von Trinkwasser oder Naturzerstörung. Das ist momentan nicht der Fall. Heute errechnet sich der Erzeugerpreis allein aus an den Machtverhältnissen und der erpresserischen Übermacht von Konzernen im Rest der Wertschöpfungskette. Die Frage ist: Wie kann man diese Machtverhältnisse aus der Balance bringen, die die Agrarbetriebe am Katzentisch sitzen lassen? Darüber hinaus muss auch über Insektenschutz geredet werden, über die Düngemittelverordnung oder das Tierwohl.

Welche strukturellen Probleme sehen Sie in der Tierhaltung?

Grundsätzlich sind die regional extrem hohen Bestandsdichten wie in Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen problematisch oder auch 60.000 Schweine an einem Standort, wie es sie auch in Brandenburg gibt. Das kann nicht naturverträglich sein. Aber über Ursachen wird nicht geredet, sondern nur über Symptome. Die Betriebe gewinnen keine Sicherheit, auch weil die Politik immer wieder Rückzieher macht, sobald ein Konzern mit Konsequenzen droht. Bei der betäubungslosen Ferkelkastration war beispielsweise die sechsjährige Übergangszeit fast zu Ende, es gab erste Berichte über erfolgreiche Alternativen und dann drohten die Fleischkonzerne, die Schweine nicht mehr abzunehmen. Die Reaktion des Gesetzgebers war: Rückzug. Das geht nicht, denn so bestraft man ausgerechnet diejenigen, die sich zu Alternativen aufgemacht haben.

Die Stimmung bei den Landwirten wird zunehmend aggressiv. In mindestens zwei Fällen wurden Journalist*innen bedroht. In Berlin konnte beobachtet werden, dass die AfD unwidersprochen Visitenkarten verteilt. Sehen Sie in der Bewegung auch Gefahren?

Die Protagonisten müssen sich schon die Frage stellen: Was wollen wir? Weiter Probleme aussitzen ist ja keine Option. Mit der Bewegung »Wir haben es satt« sind schon lange alljährlich 30 000 Leute auf der Straße für eine andere Landwirtschaft. Aus meiner Sicht werden hier viele Probleme richtig angesprochen. Diejenigen, die jetzt protestieren, haben ja nicht ganz unrecht, gerade in der sozialen Frage. Aber wer zulässt, dass die AfD die Proteste instrumentalisiert, der muss sich fragen lassen: Was wollt ihr denn? Steigbügelhalter sein für die nationale Rechte oder wollt ihr ernsthaft, dass Politik mit euch redet? Dann sollte man den Unmut nicht nur in Richtung Politik lenken, sondern auch nach den Ursachen gucken und gegen Lidl oder den Fleischkonzern Tönnies protestieren. Gern mit uns gemeinsam.

Interview Haidy Damm

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Neuen Deutschland (ND).
Hier lesen Sie das Interview im ND.