alt= alt= alt=

START  |  AKTUELLES  |  PRESSE   |  ZUR PERSON   |  FOTOSTRECKE  |  KONTAKT

!! ACHTUNG!! DIESE SEITE WIRD NICHT MEHR AKTUALISIERT. Bitte wenden Sie sich mit Ihren Anliegen nach dem Ende des Mandats von Dr. Kirsten Tackmann am 26.10.2021 an die aktuelle Linksfraktion im Bundestag. Für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und konstruktive Kritik der vergangenen 16 Jahre möchten wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken.

10. Mai 2012, Rede MdB Dr. Tackmann, TOP 11, zu Protokoll
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schweinepest tierschonend bekämpfen – Notimpfung ersetzt grundloses Keulen > Drucksachen 17/8893, 17/9218 <

Die Europäische oder „Klassische“ Schweinepest ist eine der bedrohlichsten Tierseuchen für Haus- und Wildschweine. Vor allem, weil sie sehr leicht von Tier zu Tier, von Stall zu Stall übertragbar ist. Wird sie amtlich festgestellt kommt es zu drastischen Gegenmaßnahmen. Um eine weitere Ausbreitung zu vermeiden werden auch gesunde Schweine unverzüglich getötet. „Keulen“ nennt man das. Das hat fatale Folgen. Vor Allem dort, wo viele Schweine gehalten werden. So mussten z. B. im März 2006 in NRW mehr als 92.000 Schweine gekeult werden. Das sind gigantische Mengen.

Ein Teil solcher vorsorglichen Tötungen könnte vermieden werden. Z. B. mittels sofortiger Impfung der Schweine. Wirksame Impfstoffe dafür gibt es, aber solche Notimpfungen sind derzeit verboten. Z. B. weil früher geimpfte Schweine nicht sicher von infizierten Tieren unterschieden werden konnten.

Doch mittlerweile kann man durch so genannte Markerimpfstoffe die Antikörper aus natürlichen Infektionen von solchen aus Impfungen unterscheiden. Impfen statt Keulen, heißt daher das Gebot der Stunde.

Deshalb unterstützt DIE LINKE ausdrücklich das Anliegen des fraktionsübergreifenden Antrags. Notimpfungen müssen endlich möglich sein. Dieser Antrag wurde von allen fünf Fraktionen erarbeitet. Leider wird die Linksfraktion im Autorenkollektiv nicht mehr genannt. Auf Druck der Unionsfraktion wurde nun schon zum dritten Mal in diesem Jahr ein gemeinsam erarbeiteter, interfraktioneller Antrag ohne die Linksfraktion eingereicht.

Deshalb auch heute meine Forderung an die Union: beenden sie den kalten Krieg. Und SPD, Grüne und FDP frage ich: wie lange wollen sie eigentlich dieses vordemokratische Spiel mitmachen? Das nagt auch an ihrer Glaubwürdigkeit!

Doch zurück zum Antrag. Der greift leider insgesamt zu kurz. Er blendet aus, dass ein strategischer Ansatz zur Bekämpfung der Schweinepest nötig ist. Infektions- und Verbreitungsrisiken müssen minimiert, effektive Bekämpfungsstrategien entwickelt und erprobt werden. Wir brauchen dafür erstens mehr Forschung und zweitens eine andere Marktausrichtung. Das will ich gern näher erläutern.

Zur Forschung: Noch wichtiger als die Erlaubnis von Notimpfungen ist die Vermeidung von Schweinepestinfektionen. Dazu werden wissenschaftlich begründete Konzepte zur Risikovermeidung und effektiven Bekämpfung gebraucht. Kosten und Nutzen solcher Maßnahmen müssen sachlich fundiert für jede Einzelsituation abgewogen werden können. Wie groß muss z. B. ein Sperrbezirk sein, damit eine Weiterverbreitung verhindert, der wirtschaftliche Schaden durch die Sperrung aber begrenzt wird? Welche Risikofaktoren müssen wie berücksichtigt werden? Angewandte Tierseuchenforschung, insbesondere epidemiologische Forschung, muss deshalb gestärkt, erworbene Erkenntnisse in die Praxis umgesetzt sowie in Lehre und Ausbildung eingeführt werden.

Stattdessen bauen alle Bundesregierungen seit 1996 in der Agrarressortforschung kräftig Personal ab und schließen Forschungsstandorte. Vermeintlich prestigeträchtige Grundlagenforschung und Exzellenz-Institute pflegt man. Dagegen fristet das Epidemiologische Institut des FLI in Wusterhausen/Dosse seit Jahren ein geduldetes Schattendasein. Ende 2013 soll dort endgültig der Letzte das Licht ausmachen und zur Insel Riems umziehen. Regional- und sozialpolitisch ist das ein Desaster. Kurzfristiges haushalterisches Denken hat hier wieder einmal über wissenschaftliche Arbeitsfähigkeit und Standortpolitik gesiegt.

Zurück zum Antrag: Er verschweigt auch die eigentlichen Gründe für die Nichtimpfpolitik in der EU. Impfungen wären ein Handelshemmnis. Es ist sicherer, Tiere mit Infektionsverdacht zu töten als das Restrisiko einer Infektionsverbreitung einzugehen. Aber können Handelswünsche „vernünftige Gründe“ zur Tötung gesunder Tiere sein, die das Tierschutzgesetz vorschreibt? Mal ganz davon abgesehen, dass der Export und damit Transport lebender Tiere ohnehin zu hinterfragen ist. Leider klammert der Antrag diesen Aspekt größtenteils aus. Die Antragsteller machen sich vor allem Sorgen darüber, ob skeptische Verbraucherinnen und Verbraucher innerhalb der EU von der Unbedenklichkeit des Fleisches geimpfter Schweine überzeugt werden können.

Wenn wir über das Schweinepest-Risiko reden, ist auch ein Blick auf den gesamten Schweinemarkt erhellend. Zur Infektionsvermeidung müsste er komplett anders ausgerichtet werden. 257 Millionen Schweine werden dieses Jahr in der EU produziert, davon 46 Millionen in Deutschland. Zwar ist die Produktion damit leicht gesunken. Aber noch immer wird in der EU Schweinefleisch deutlich über der einheimischen Nachfrage produziert: 110 Prozent. Da innerhalb der EU immer weniger Schweinefleisch gegessen wird, muss immer mehr exportiert werden. Der weltweite Handel mit Schweinefleisch ist im Jahr 2011 auf ein Rekordniveau gestiegen und wuchs gegenüber 2010 um über 10 Prozent. Das hat neben dem Risiko einer Infektionsverbreitung eine weitere Schattenseite: das für diese Überproduktion benötigte Futter wird nur zum Teil in der EU produziert. Über 80 Prozent der Eiweißfutterpflanzen werden aktuell in die EU importiert. Das sind 40 Millionen Tonnen pro Jahr. Weil Europa reich ist, kann das Futter billig auf dem Weltmarkt eingekauft werden. Nachhaltig ist das nicht. Dabei brauchen wir mehr soziale und ökologische Verantwortung. Fleischproduktion muss sich klarer am einheimischen Bedarf orientieren. Eine strategische Ausrichtung auf Export lehnt DIE LINKE ab. Wir müssen wieder mehr selbst Futtermittel anbauen, natürlich gentechnikfrei. Auch über eine Beschränkung der Futtermittelimporte müssen wir nachdenken…

Fazit: Der Antrag hat seine Schwächen, aber das Anliegen teilen wir. Daher enthält sich DIE LINKE.

Anhang: 120510_debatte_schweinepest_antrag.pdf