Landwirtschaft neu denken
Von Dr. Kirsten Tackmann
Lautstark setzen sich am 26.11.2019 bis zu 40.000 überwiegend Landwirtinnen und Landwirte Richtung Brandenburger Tor in Bewegung unter dem Motto „Land schafft Verbindung – Wir rufen zu Tisch“. Dabei handelt es sich um eine noch sehr junge Protestbewegung, zu der sich ab Oktober 2019 Landwirtinnen und Landwirte, Landbewohnende und –nutzende zusammengefunden haben und die bereits die Agrarproteste Ende Oktober organisiert hatten – das war die zweite große Agrardemo des Jahres nach der schon traditionellen „Wir haben es satt“–Demo zu Beginn der Internationalen Grünen Woche, die ihrerseits gegen die Agrarindustrie protestiert. Die Situation ist also für alle Seiten frustrierend.
Die politische Ausrichtung ist – abgesehen vom Protest gegen „die“ aktuelle Agrarpolitik – noch nicht ganz klar. Die Motivation vieler Akteurinnen und Akteure speist sich aus verschiedenen Quellen:
- Mit dem so genannten Agrarpaket des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sollen sie Fehler der Agrarpolitik mit erheblichen finanziellen Risiken ausbaden -> Maßnahmen (insbesondere Düngerecht, Insektenschutz) halten sie für unnötig, teuer oder wirkungslos
- Sie werden für Fehler verantwortlich gemacht, die sie nicht oder nicht allein verursacht haben (manche bestreiten auch überhaupt die Probleme)
- Eine aus ihrer Sicht bestehende Vertretungslücke durch den Deutschen Bauernverband, die sie füllen wollen
- Fehlender Respekt der Gesellschaft für ihre Arbeit
Unterdessen hat sich die ursprünglich lose Gemeinschaft als Verein gegründet und wird vom Deutschen Bauernverband tendenziell als Gefahr einer möglichen Konkurrenz wahrgenommen. Interessanterweise gab es aber im Vorfeld und auf der zweiten Demonstration einen Schulterschluss der Beteiligten, unabhängig ob große oder kleine Betriebe, konventionell oder ökologisch. Es war der erste Protest, der tatsächlich übergreifend von breiten Teilen der Landwirtschaft getragen wurde, wenn auch Ziele und Motivationen unterschiedlich bleiben dürften.
Parteipolitische Einordnung
Der Protest ist von vielen an die Union (als eigentlich verlässlichen Bündnispartner) adressiert, der sich aber von SPD und insbesondere den Grünen „vom rechten Weg“ abbringen lässt. Andere Teile haben sich vor allem aus Solidarität mit den Berufskolleginnen und -kollegen angeschlossen. Die AfD versucht diese Protestbewegung zu vereinnahmen. In Thüringen konnte Ende Oktober beispielsweise ein Wagen der AfD ohne Widerspruch in der Kolonne mitfahren. Auch die FDP versucht, diesen Protest aktiv zu instrumentalisieren. Scheinbar gelingt das aber bisher nur begrenzt. Wünschenswert wäre es, wenn sich dieses große Interesse für die Sorgen auch in den kommenden parlamentarischen Initiativen widerspiegeln würde
Fachpolitische Einordnung
Die Agrarpolitik in der EU und im Bund hat die Landwirtschaft in eine gefährliche Sackgasse gefahren. Das sagen wir als LINKE schon seit Jahren. Die strategische Ausrichtung der Landwirtschaft auf möglichst billige Rohstofflieferung für den globalisierten Weltagrarmarkt hat verheerende Folgen für Mensch und Natur. Die Zeche für diese falsche Agrarstrategie zahlen allzu oft die Agrarbetriebe. Sie erarbeiten die Profite der international agierenden Konzerne im vor- und nachgelagerten Bereich (Saatgut-, Pestizidhersteller, Molkereien, Schlachtkonzerne, Vermarktung und der Lebensmitteleinzelhandel), die ihren Reichtum auf unser aller Kosten vermehren. Hervorgehoben noch einmal in Kirsten Tackmanns Pressemitteilung „Die Profite der anderen – Landwirtschaft nicht länger zu billiger Rohstofflieferantin degradieren“ (26.11.2019).
Um das gesamte Ausmaß der aktuellen Situation deutlich zu machen hat DIE LINKE aktuell eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt zur Stellung von Landwirtinnen und Landwirten in der Lebensmittelkette (Drs. 19/14822). Es zeigt sich, dass Landwirtschaft als Primärerzeugerin den kleinsten Teil der Bruttowertschöpfung in der Lebensmittelkette mit durchschnittlich 13,6 Prozent ausmacht, während der nachgelagerte Wirtschaftsbereich im Durchschnitt über 86 Prozent abschöpft. Bei Brot(-getreide) gehen nur durchschnittlich 3 bis 6 Prozent des Verkaufspreises, also von uns Verbraucherinnen und Verbraucher, an den Primärerzeuger. Bei Fleisch (-waren) sind es 21 bis 26 Prozent. Da stellt sich die berechtigte Frage wo der Rest hingeht. Es ist als mitnichten so, dass Landbewirtschafter sich mit den Erzeugerpreisen und trotz aktuellen EU-Subventionen die Gummistiefel vergolden lassen. Die großen Gewinne machen andere egal ob es sich um günstige Lebensmittel aus dem Discounter oder teure Lebensmittel aus dem Feinkostladen handelt. Das Verheerende: Hier versagen, ja noch mehr, verweigern sich die politisch Verantwortlichen seit Jahrzehnten, denn die Bundesregierung kennt die Zahlen, die im Übrigen nicht neu sind. Auch das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der LINKEN.
Dabei haben gerade die Primärerzeuger das volle betriebswirtschaftliche Risiko. Sie müssen auch versuchen zu überleben, wenn ein Jahr zu nass ist und die zwei folgenden Jahre kaum Regen fällt. Die Konzerne im vor- und nachgelagerten Bereich machen trotzdem Gewinne – Hilfen, die den Agrarbetrieben helfen sollen, werden abschöpft. Wir haben es hier mit einem absurden System zu tun, das zu sozialen Verwerfungen unter den Landbewirtschaftenden führt. Das trifft übrigens zunehmend auch auf Ökobetriebe zu, die vom „freien“ Markt genauso unter Druck gesetzt werden. Daher habe ich Verständnis dafür, dass Landwirtinnen und Landwirte auf die Straße gehen und viele ihrer Forderungen sind nachvollziehbar. Das geplante Mercosur-Abkommen, dass die Stellung der Landwirtschaft in Deutschland und Europa nochmal deutlich verschlechtern wird, ist eines der Kritikpunkte der Bewegung, um nur einen gemeinsamen Nenner zu erwähnen.
Gleichzeitig dürfen diese sozialen Verwerfungen entlang der Lieferkette keine Ausrede sein, die ökologischen Probleme weiter auszusitzen, statt sie endlich konsequent anzupacken. Und Probleme gibt es in der Landwirtschaft sehr viele. Planungssicherheit und Verlässlichkeit für die Agrarbetriebe lassen sich aber nur herstellen, wenn sie endlich auf Augenhöhe mit den anderen Beteiligten der Lieferkette faire Erzeugerpreise verhandeln können und wenn klare und wirksame Maßnahmen für mehr Klima-, Insekten-, Boden- und Gewässerschutz vereinbart sind sowie gesichert ist, dass sie auch von den bisherigen Profiteuren des Systems finanziert werden und das nötige Geld dort ankommt, wo es wirklich gebraucht wird. Es bleibt jedoch die Gefahr, dass die Stimmung der Bewegung kippt und sich ausschließlich gegen mehr Klima- und Umweltschutz in der Landwirtschaft richtet, anstatt gegen die strukturellen Ursachen und für ihre Lösung. Bisher sind die Forderungen der Bewegung (bewusst) sehr allgemein gehalten, damit sich eine Vielzahl verschiedener Agrarbetriebe (tierhaltende Betriebe, reine Ackerbaubetriebe, Große und kleine Betriebe mit unterschiedlichen Betriebswirtschaftsformen) dahinter versammeln können. Es könnte schwer werden konkrete Forderungen aufs Papier zu bringen, ohne sich dabei zu entsolidarisieren.
Die eigentliche Stimme der Landwirtinnen und Landwirte ist der Deutsche Bauernverband (DBV) schon deshalb nicht mehr, weil er vor allem das System möglichst billiger Warenproduktion für den Weltmarkt vertritt und damit vor allem die Interessen des vor- und nachgelagerten Bereichs. Auch das ist mit ein Grund, warum sich diese unabhängige Bewegung gegründet hat.
Die aktuelle Entwicklung bestätigt meine Forderung nach einem neuen Agrarleitbild als notwendige Grundlage für verlässliche Rahmenbedingungen, die sowohl die ortsansässigen Agrarbetriebe und ihre Beschäftigten als auch die natürlichen Lebensverhältnisse sichern. Dazu gehört auch eine gerechte Verteilung der Wertschöpfung in der Lebensmittelkette. Die Kosten für die Lösung von Problemen dürfen nicht allein bei den Agrarbetrieben abgeladen werden. Der Verdrängungswettbewerb durch Ausbeutung von Mensch und Natur muss ersetzt werden durch ein kooperatives Wirtschaftssystem im Interesse der gesamten Gesellschaft. Das Mercosur-Abkommen muss abgelehnt werden. Landwirtschaftsfremde Investorennetzwerke haben in der Landwirtschaft nichts zu suchen und müssen von der Agrarförderung ausgeschlossen werden.
Als LINKE sollten wird den Landwirtinnen und Landwirten die Hand reichen und weiter einen intensiven Dialog anbieten, egal ob öko oder konventionell, groß oder klein, tierhaltend oder Ackerbaubetrieb. Daher möchte ich alle ermutigen, das Gespräch mit Landwirtinnen und Landwirten zu suchen und mögliche Gesprächsangebote wahrzunehmen, egal ob sie Teil der Bewegung sind oder nicht. Hört euch auch ihre Probleme an und versucht herauszufinden, was sie brauchen würden, um die Situation sowohl sozial als auch ökologisch zu verbessern. Aber lasst euch auch nicht ins Boxhorn jagen: höherer Lebensmittelpreise führen nicht zu höheren Erzeugerpreisen, schon gar nicht automatisch, denn auch mit den niedrigen Lebensmittelpreisen wurden und bleiben die Schlachthof-, Molkerei- oder Supermarktkonzerne reich. Deshalb muss eine Umverteilung der Gewinne und der Macht in der Lieferkette eine zentrale Forderung bleiben, um kostendeckende Erzeugerpreise zu erreichen, mit denen auch das Klima und die Natur und die Tiere geschützt werden können.
Aktuell arbeitet die Bundestagsfraktion DIE LINKE an einem Aktionsplan Klimagerechtigkeit – in dem auch der Landwirtschaft ein ganzes Kapitel gewidmet ist (nachlesbar ab 10. Januar 2020).
Im Übrigen wird es im Januar, wie jedes Jahr, eine weitere große Bauern-Demo geben. Die „Wir haben es satt“-Demo. Hier sind es vor allem die Öko-Betriebe die seit Jahren auf die Straße gehen um für eine Agrarwende zu demonstrieren. Auch hier gibt es Gesprächsbedarf.
Hier die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion „Stellung von Landwirtinnen und Landwirten in der Wertschöpfungskette“ (Drs. 19/15354).
Hier die Pressemitteilung von Kirsten Tackmann „