In den glitzernden Bürohäusern setzten sich derweil die Agrarminister der Mitgliedstaaten zusammen, um nach Lösungen zu suchen. Am Ende des Tages gab es für die Bauern nicht nur Wasserwerfer und Tränengas, sondern auch die Ankündigung eines 500-Millionen-Pakets. Mit diesem soll der Milchmarkt entlastet werden. Zinsgünstige Darlehen, Unterstützung der privaten Lagerhaltung und mehr Exporte holten die Agrarminister aus der Mottenkiste. Gekrönt vom Vorschlag, die EU solle mit Mitteln für die Flüchtlingspolitik Milchprodukte aufkaufen und an Flüchtlinge abgeben. Ein vielleicht gut gemeinter Vorschlag, jedoch mit merkwürdigem Beigeschmack und ohne Lösung für die Milchkrise. Und Agrarminister Schmidt will einen nationalen Exportgipfel. Dabei exportiert Deutschland bereits Waren im Wert von 66 Mrd. Euro (2013), davon knapp 23 Prozent in Drittländer außerhalb der EU. Milch und Milcherzeugnisse sowie Fleisch und Fleischwaren sind dabei die wichtigsten Produkte des deutschen Agrarexportes (DBV-Situationsbericht 2014/15).
Auch die Linksfraktion will eine Soforthilfe, aber sie reicht längst nicht aus. Es werden endlich wirksame Maßnahmen zur langfristigen Stabilisierung des Milchmarktes gebraucht, denn die Abstände zwischen den Milchkrisen werden immer kürzer. Gebraucht wird ein Systemwechsel – auch in der Milchpolitik. Weg von der Billigproduktion und Exportausrichtung, hin zur Ausrichtung auf die EU-Binnennachfrage und Wertschöpfung durch regionale Verarbeitung und Vermarktung. Die Biomilch zeigt, dass das funktioniert – sie bekommen erstmals trotz Krise in der konventionellen Milchproduktion weiter einen kostendeckenden Preis, während bisher der Preisabstand auch in Krisenzeiten bei etwa 10 Cent bestehen blieb.
Ohne Mengenregulierungssystem jenseits der fehlkonstruierten, teuren Milchquote, die seit 1. April 2015 abgeschafft ist, geht es nicht. Ohne Nachfrageorientierung war sie krisenanfällig. Und das Auf und Ab hat zugenommen. Die FAZ formulierte diese Woche treffend: „Milchpreise im Schweinezyklus“. Nun, im Sommer 2015 spitzt sich die Situation wieder zu: Die Milchpreise sind im Tiefflug auf deutlich unter 30 Cent. Dafür kann niemand Milch produzieren. Gerade die Milchviehbetriebe, die umwelt- und tiergerechter produzieren wollen und dafür in moderne Technik und Stallanlagen investieren, zahlen jetzt die Zeche, während Handels- und Molkereikonzerne ihre Gewinne auf ihre Kosten sichern und Spekulanten die Bodenpreise explodieren lassen. Wer diese Marktmacht nicht in Frage stellt, nimmt quasi eine Enteignung der Landwirtschaftsbetriebe billigend in Kauf.
Kein Agrarbetrieb will Notgroschen aus Brüssel, sondern faire und kostendeckende Erzeugerpreise. Die Marktmacht und das Wachstum von Molkereien und Handelskonzernen muss begrenzt werden. Freiwillige Drosselungen der Milcherzeugung müssen für einen befristeten Zeitraum entschädigt (Bonus), Über-Lieferungen sanktioniert (Malus) und Erzeugerzusammenschlüsse gestärkt werden.