Tierwohl – es geht um viel mehr als bessere Ställe
von Dr. Kirsten Tackmann
im Auftrag der Bundesagrarministerin hat ein „Kompetenznetzwerk Tierwohl“ unter der Leitung von Bundesagrarminister a. D. Jochen Borchert in einem breiten Dialog Vorschläge zur Verbesserung der Tierhaltungsbedingungen in unserem Land entwickelt und vorgelegt. Gut, dass die Koalition diese mit ihrem Antrag aufgreift. Endlich mal ein Koalitionsantrag, bei dem wenigstens die Richtung stimmt.
Als Tierärztin weiß ich nur zu gut, dass Tiere besser gehalten werden müssen. Und als LINKE sage ich, dass es nicht mit ein paar Veränderungen in den Ställen getan ist. Das System selbst ist doch krank. Das kritisieren wir als LINKE seit Jahren. Nun spricht selbst Ministerin Klöckner von einer Systemfrage, wobei sie vermutlich nicht dasselbe wie DIE LINKE meint.
DIE LINKE will ein System ändern, in dem Tiere, Menschen und Natur ausbeutet werden – zum Wohl weniger, aber auf unser aller Kosten. Das ist weder akzeptabel noch zukunftsfähig, was übrigens auch ohne das Brennglas der Pandemie offensichtlich war.
Spätestens seit dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarfragen vom März 2015 war klar, dass die aktuelle Tierhaltung nicht zukunftsfähig ist. Umso verheerender ist die anhaltende Blockade aus der Union, die sich leider nur unter hohem Druck löst – und selbst dann bloß in homöopathischen Dosen.
Die Verlierer dieses Systems sind aber nicht nur die Tiere, sondern auch die Menschen, die sie betreuen, in den Schlachthöfen arbeiten oder in den Supermärkten. Ganz zu schweigen von Natur und Klima.
Als LINKE fragen wir: Wer übernimmt – endlich – die Verantwortung auf EU- und Bundesebene dafür, dass die ganze Lebensmittellieferkette mit Vollgas in die Sackgasse gefahren wurde?
Die tierhaltenden Betriebe werden doch im Stich gelassen. Vor allem jene, die sich längst auf den Weg gemacht haben, weil sie die Tiere in ihrer Obhut besser halten wollen! Aber sie brauchen nicht nur Geld, sondern vor allem gesetzlich verankerten Schutz vor der Übermacht von Schlachtkonzernen und Supermarktketten!
Der Koalitionsantrag öffnet Türen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Aber weil das Anliegen so wichtig ist und die Richtung stimmt, wird DIE LINKE zustimmen.
Aber über die Defizite muss geredet werden! Zwei zentrale Mängel seien genannt: Die Finanzierung durch eine Fleischabgabe, also einen Preisaufschlag, ist sozial ungerecht, selbst wenn sie formal sozial abgefedert würde. Und das eigentliche Problem der Hochrisikostrukturen entlang der Lieferkette muss endlich gelöst werden. Das heißt zu große Tierbestände an einem Ort, zu hohe Tierbestände in einigen Regionen, immer weniger, dafür größere Schlachthöfe, nur wenige, dafür übermächtige Supermarktketten.
Deshalb stellen wir LINKE ebenfalls unseren Antrag „Nutztierhaltung an Fläche binden“ zur Abstimmung, der die Deckelung der Tierbestände in Regionen und an Standorten fordert sowie einen sozial verträglichen Umbau zu einer flächengebundenen Tierhaltung.
Nicht nur die Bundesministerin muss ihren Job machen – auch wir als Gesetzgeber, vor allem die Koalition. Das heißt aus LINKER Sicht die Vernünftigen vor den Skrupellosen und Gierigen schützen und die Kosten für den Umbau auf die breiten Schultern verteilen, dafür die schmalen entlasten. Daran werden wir alle Vorschläge messen.
Denn wer Machtverhältnisse und Machtstrukturen nicht in Frage stellt, wird bestenfalls Symptome lindern. Als LINKE aber wollen wir ein krankes System ändern.
Und übrigens: Wer die Unmoral von Tönnies und Co so lange duldet hat gar nicht das Recht, an die Moral von Verbraucherinnen zu appellieren.
Hier der LINKE Antrag „Nutztierhaltung an Fläche binden“ (Drs. 19/15120)
Hier der Koalitionsantrag „Empfehlungen des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung konsequent umsetzen und Zukunftsperspektiven für die Tierhaltung in Deutschland schaffen“ (Drs. 19/20617)