Warten auf den Fortschritt
Umbau für zukunftsfähige Tierhaltung muss endlich auf den Weg gebracht werden
Auf Initiative der Linksfraktion wurde am Mittwoch im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft das Konzept für die Zukunftskommission Tierwohl, die sogenannte „Borchert-Kommission“ vorgestellt. Damit wurde die Debatte jetzt offiziell ins Parlament getragen, um das so wichtige Zukunftsthema weiter voranzutreiben. Schließlich liegt schon seit März 2015 ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats zur Zukunft der Nutztierhaltung vor. Damals vor allem von der Union noch abwechselnd bekämpft oder ignoriert kommt nun die Borchert-Kommission zu sehr ähnlichen Vorschlägen. Also leider vertane fünf Jahre, aber später ist ja besser als nie.
Dass Ex-Landwirtschaftsminister Borchert nun im Namen der Kommission einfordert, zumindest die Grundsatzentscheidung zu fällen und damit eine Arbeitsgrundlage für das weitere Agieren zu schaffen, teilt auch DIE LINKE ausdrücklich. Die Notwendigkeit einer strategischen Neuausrichtung der Tierhaltung in unserem Land bis 2040 scheint unterdessen in allen Fraktionen Konsens zu sein, wenn auch die Union erneut sehr zögerlich agiert. Aber auch die Ministerin scheint willens zu sein, Fortschritte auf der Grundlage der Empfehlungen zu erzielen. Im Detail gibt es sicher noch viel Klärungsbedarf. Aus Sicht der LINKEN ist die Finanzierungsfrage einerseits eine Schlüsselfrage, andererseits darf sie auch keine Ausrede sein. Dass die Kosten für mehr Tierwohl angemessen und sozial gerecht verteilt werden müssen, ist eine weitere Kernfrage. Der Vorschlag der Kommission einer Tierwohlabgabe, z.B. 40 Cent pro Kilo Fleisch, mit „sozialpolitischer Flankierung“, sehen wir mindestens ambivalent. Er war auch der Grund, dass der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) ganz am Ende die Kommission verlassen hat. Dass Bundesagrarministerin Klöckner eine Erhöhung der Sozialleistungssätze befürwortet, ist natürlich richtig, reicht aber längst nicht und beantwortet erst Recht nicht die Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Denn die eigentliche Lücke bei der Borchert-Kommission ist, dass die Frage, wie Lebensmittelpreise zustande kommen und wer von niedrigen Erzeugerpreisen profiziert, gar nicht thematisiert wird. Wenn 87 Prozent der Wertschöpfung in der Lebensmittellieferkette an den Erzeugerbetrieben vorbeigeht, muss man aus LINKER Sicht zwingend zuerst fragen, was denn Supermarkt-, Molkerei- und Schlachthofkonzerne zur Finanzierung von mehr Tierwohl beitragen werden, bevor die Verantwortung Verbraucherinnen und Verbrauchern direkt oder als Steuerzahlenden indirekt zugeschoben wird. Und es darf daran erinnert werden: die 40 Cent Tierwohl-Sonderabgabe pro Kilo Fleisch zahlen Hartz IV-Betroffene, Grundsicherungs- oder Niedriglohnempfangende oder Minijobber genauso wie SUV-Fahrende.
Dass der Umbau öffentliches Geld kosten wird steht außer Frage. Der Bericht der Kommission schätzt 3,6 Milliarden pro Jahr. Aber neben der Finanzierungsfrage muss auch diskutiert werden, wo höhere gesetzliche Standards gebraucht werden, was auch Konsequenzen für die ordnungs- und förderrechtliche Begleitung dieser Ziele hat.
Aber das Borchert-Konzept hat nicht nur das Defizit, die strukturellen Probleme in der Lieferkette und ihre Folgen nicht zu betrachten. Es hat auch eine Lücke hinsichtlich der strukturellen Probleme in der Tierhaltung selbst. DIE LINKE hat in ihrem Antrag „Nutztierhaltung an die Flächen binden“ (Drs. 19/15120) erste Schritte skizziert, der essentiell für den Prozess wären. Nur so viele Tiere zu halten, wie für eine gesunde Ernährung tatsächlich gebraucht und aus den Regionen versorgt werden können (Deckelung der Tierbestände am Standort und in Regionen), ist eine Maßnahme, die für Klima-, Wasser- und Tierschutz unerlässlich ist, aber auch Probleme bei der Tierseuchenbekämpfung und der Bestandsbetreuung lösen hilft. Der Unmut in großen Teilen der Bevölkerung über den Status Quo, der sich z.B. jährlich in der „Wir haben es satt“-Demo dokumentiert, aber bisher eifrig ignoriert oder diskreditiert wird, verlangt neue Wege in der Agrarpolitik hin zu einem veränderten Verständnis von Tierhaltung. Und wer zu spät kommt… – verspielt die Zukunft der Tierhaltung.
In den vergangenen Jahren wurde seitens der Bundesregierung Vertrauen verspielt. Den Preis für eine konzernfreundliche, inkonsistente und zögerlich bis ignorante Politik zahlen die Betriebe. Ob Düngefragen, Ferkelkastration, Kastenstand, Kükentöten der Milchpreiskrisen. Statt zukunftsweisend zu entscheiden und zu handeln werden Probleme so lange auf Kosten von Mensch und Natur ausgesessen, bis die Situation für immer mehr Betriebe ausweglos wird. Die Konsequenz sind Bauernproteste und breit offene Scheunentore für Bodenspekulation.
Das alles macht die Debatten zu den Vorschlägen der Zukunftskommission für die Tierhaltung gleichermaßen dringender und schwieriger. Planungssicherheit ist gerade bei Umbauprozessen für die Agrarbetriebe besonders wichtig, aber Vertrauen wurde verspielt. Doch Angst vor kurzfristigen Geldeinbußen durch veränderte Rahmenbedingungen hat sich stets gerächt mit deutlich kostspieligeren Folgen durch Abwarten und Aussitzen der Probleme. Auch der Handlungsdruck um das Thema Antibiotikaresistenzen und wachsende Zoonosen-Risiken wächst.
Das sind dicke Bretter zu bohren, aber mit einer klaren Botschaft aller demokratischen Fraktionen, die die Ziele der Zukunftskommission im Grundsatz umsetzen wollen, wären wichtige Weichen gestellt. Für die sozialökologische Wende aus Sicht der Linken muss dafür parallel unbedingt die Debatte über die Verteilung von Macht und Gewinnen in den Handels- und Lieferketten geführt werden, die bislang quasi keine Rolle im Bericht der Borchert-Kommission spielen. Nur so kann allerdings ein wirklich fairer Umbau realisiert werden, der garantiert, dass Fördermittel nicht im Lebensmitteleinzelhandel versacken und die Unzufriedenheit bei sich aufopfernden Betrieben für eine gute Ernährung weiter wächst, sodass wir sie verlieren für den gemeinsamen Kampf gegen die großen bevorstehenden Herausforderungen. Zeit, endlich erste Schritte zu gehen.