Rede im Bundestag: 26.11.2015
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Das Problem in der Agrarpolitik ist nicht so sehr der Haushalt, sondern die falsche Politik, die dahinter steht. Die stärkt eben nicht den regionalen Landwirtschaftsbetrieben den Rücken. Im Gegenteil, sie folgt dem Mantra des glückselig machenden freien Marktes und des gelobten Landes der Agrarexporte. Im Klartext ist das die Aufforderung: Produziert möglichst viel und möglichst billig. Das ist ein Systemfehler, der dringend behoben werden muss.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Denn die Überschüsse werden weltweit entsorgt, was regionalen Märkten schadet und Fluchtursachen verschärft. Und das ist absolut falsch.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wo, bitte, soll denn ein gutes Einkommen, mehr Tierwohl und Schonung der Natur herkommen, wenn am Markt vor allem Dumpingpreise den Wettbewerb entscheiden? Das hat fatale Folgen. Nicht nur in meinem Prignitzer Heimatwahlkreis haben viele Betriebe ein sehr schwieriges Jahr hinter sich. Seit Monaten bekommen sie keine kostendeckenden Erzeugerpreise. Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen spricht von Gewinnrückgängen zwischen 40 und 60 Prozent. Schaf- und Ziegenhaltung rechnen sich schon länger nicht mehr. Milch, Schweine, Futtermittel und Obst – alles wird schlecht bezahlt.
Ja, das ist auch ein Problem von Milchseen und Butterbergen. Wir haben aber gerade gehört: Jede Überlegung zu einer Mengenregulierung wird von der Koalition bzw. vom Bundesagrarminister blockiert. Ganz anders sieht es übrigens beim Wein aus. Die Steuerung der Angebotsmenge beim Wein wurde fraktionsübergreifend sogar begrüßt. Pflanzrechte werden restriktiv vergeben, und sogar die Erntemenge pro Hektar wird beschränkt. Ja, die unterschiedliche Wirkung des Genusses von Wein und Milch ist mir sehr bewusst.
(Heiterkeit bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Warum aber Mengenregulierung beim Wein richtig und bei der Milch Teufelszeug ist, das erschließt sich mir wirklich nicht.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Viele Betriebe werden diese falsche Agrarpolitik leider nicht überleben. Aber wir brauchen nachhaltig wirtschaftende Agrarbetriebe: für regional und umweltschonend erzeugte Lebensmittel und erneuerbare Energien, für gut bezahlte Arbeit, für lebendige Dörfer, zum Erhalt der Kulturlandschaft und zum besseren Schutz des Klimas. Deshalb ist für uns als Linke ein „Weiter so“ keine Option.
(Beifall bei der LINKEN)
Handelskonzerne, Schlachthöfe und Molkereien bereichern sich doch auf Kosten der Erzeugerbetriebe. Ihre Marktübermacht muss endlich gestoppt werden. Die Linke fordert das schon lange. Das ist doch schon längst eine der Forderungen in allen Bauernversammlungen. Tun Sie also endlich etwas!
(Beifall bei der LINKEN)
Das Ende des Ausverkaufs von Äckern und Weiden an landwirtschaftsfremdes Kapital wird ebenfalls gefordert. Statt aber die Bodenspekulationen zu unterbinden, verdient der Bund noch fröhlich mit, weil er selbst die meisten Flächen – und zwar meistbietend – verkauft. Und der Hammer ist, dass er den ostdeutschen Bundesländern den begünstigten Kauf bundeseigener Flächen sogar dann verweigert, wenn es um Küsten-, Gewässer- oder Hochwasserschutz geht. Ich finde, dass dieser Griff in leere Landeskassen einfach unanständig ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Also, auch in der Landwirtschaft ist neues Denken und entschlossenes Handeln gefragt. Statt aber die falsche Politik zu ändern, werden nur Trostpflaster verteilt. Zum Beispiel werden zu den bereits erwähnten 100 Millionen Euro für die landwirtschaftliche Unfallversicherung weitere 78 Millionen Euro obendrauf gelegt. Die Beiträge sollen um 16 Prozent sinken. Das hört sich spektakulär an. Aber pro Betrieb und gemessen an der dramatischen Situation ist das höchstens eine freundliche Geste.
Bei der Unfallversicherung bleibt noch eine andere Baustelle bestehen. Wir wollen, dass die Benachteiligungen bei der Beitragsbemessung zum Beispiel für Klein- und Kleinstwaldbesitzer beseitigt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
2 Millionen Euro zusätzlich gibt es auch für die Propagandaabteilung zur Förderung des Agrarexports. Das ist aber keine öffentliche Aufgabe. Deshalb sollte man diese Mittel nicht aufstocken, sondern ersatzlos streichen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Regionale Lebensmittel sind eine viel klügere Strategie. Die Nachfrage ist hoch und stabil. Sie sichern mehr regionale Wertschöpfung und Arbeitsplätze, und sie haben eine hohe Akzeptanz. Deshalb wäre finanzielle Unterstützung in diesem Bereich gut investiertes Geld.
Leider wurden auch in diesem Jahr alle Anträge der Linken zum Einzelplan 10 abgelehnt. Deswegen haben wir unsere Vorschläge noch einmal in einem Entschließungsantrag festgehalten. Das sind die Hausaufgaben für den nächsten Haushalt, aber einige Punkte will ich hier noch einmal kurz aufgreifen.
Erstens. Wer Fluchtursachen ernsthaft bekämpfen will, muss auch die Ursachen von Hunger bekämpfen. Dazu gehören nachhaltige Agrarkonzepte, und zwar weltweit.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dazu enthält der Weltagrarbericht, den 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erarbeitet haben, viele kluge Vorschläge. Deutschland muss ihn endlich unterschreiben und seine Fortschreibung mitfinanzieren.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zweitens sollen nach unserer Überzeugung alle Kinder Zugang zu einer hochwertigen und gebührenfreien Kita- und Schulverpflegung als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge haben. Wir wollen dafür ein Bundesprogramm auflegen, und die Vernetzungsstellen Schulverpflegung müssen gestärkt werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Drittens wollen wir die amtliche Lebensmittelüberwachung von überregional und transnational agierenden Unternehmen verbessern. Dazu soll diese Aufgabe beim Bund angesiedelt und eine Taskforce Lebensmittelsicherheit eingerichtet werden.
Viertens fordert die Linke seit Jahren ein Herden- und Wolfsschutzkompetenzzentrum. Das Fachgespräch am Mittwoch hat gezeigt, dass das dringend gebraucht wird.
Ich freue mich auf die Diskussion unseres Antrags nächste Woche im Ausschuss und noch vor Weihnachten im Plenum.
Im Übrigen sage ich: Krieg ist keine Lösung.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die gesamte Debatte: 151125_Debatte_Haushalt_EP10